Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
helfen, ein paar lockere Schrauben festzuziehen.«
»Noch immer keine Neuigkeiten wegen deiner Tochter?«
»Erst, wenn sie mit allem fertig sind.«
Falcón fuhr nach Hause. Bevor er Alicia Aguado traf, wollte er noch einmal duschen und sich ein wenig entspannen. Als er das Haus betrat, verspürte er das gleiche Unbehagen wie am Abend zuvor. Wieder ertappte er sich dabei, angespannt zu lauschen.
Er deponierte die Ortega-Akte in seinem Arbeitszimmer, ging nach oben, duschte und zog Jeans und ein schwarzes T-Shirt an, bevor er in die Küche ging und ein Glas Wasser trank. Anschließend legte er sich auf die Chaiselongue in seinem Arbeitszimmer, machte ein paar Atemübungen und fühlte sich schon deutlich ruhiger, als ihm etwas an der Pinnwand über seinem Schreibtisch auffiel, was er zuvor nicht bemerkt hatte. Er stand langsam auf, schlich, als müsste er unbemerkt bleiben, gebückt zu seinem Schreibtisch und stützte sich ab. An der Wand hing ein Foto von Inés. Es war mit einem roten Plastikstecker angepinnt, der ihren Hals durchbohrte.
Um 21.30 Uhr saß er in dem S-förmigen Sessel in Alicia Aguados Behandlungszimmer. Sie legte ihre Finger an sein Handgelenk, eine Technik, auf die sie angewiesen war, seit eine Retinis Pigmentosa, eine Erkrankung der Netzhaut, sie ihrer restlichen Sehkraft beraubt hatte.
»Sie sind müde«, sagte sie.
»Heute war der zweite Tag einer neuen Ermittlung«, sagte er. »Ein doppelter Todesfall und jede Menge emotionale Umbrüche.«
»Sie sind wieder nervös.«
»Bei der Siesta hatte ich wieder einen von meinen ›Scheißträumen‹«, berichtete Falcón. »Die habe ich immer nur nachmittags.«
»Wir haben schon darüber gesprochen«, sagte sie. »Was ängstigt Sie?«
»Diesmal war der Traum anders. Ich bin mit einer klaren Vorstellung und einem konkreten Ziel aufgewacht.«
Er erzählte ihr vom Fall Sebastián Ortega und was er davon zum Zeitpunkt des Traumes gewusst hatte, schilderte den Zustand von Pablo Ortegas Haus und die neuen Erkenntnisse, die er im Gespräch mit Montes gewonnen hatte.
»Kommt so etwas alltäglich vor?«
»Es gibt ziemlich oft Beweise für die Schuld eines Angeklagten, die vor Gericht nicht zulässig sind«, verteidigte Falcón seine Kollegen. »Dann greifen Polizei und Staatsanwaltschaft zu Mitteln, um das ›richtige‹ Urteil zu bekommen.«
»Aber in diesem Fall ist das anders, oder?«, fragte Aguado. »Ein Opfer ist manipuliert worden, einen übertriebenen Bericht der ihm zugestoßenen Dinge zu geben. Wer war der Staatsanwalt in dem Fall?«
»Die Verurteilung stand nie in Zweifel. Man wollte lediglich sichergehen, dass die Höchststrafe verhängt wurde, aber… ich möchte eigentlich keine Einzelheiten und Personen erörtern«, sagte Falcón. »Entscheidend ist, dass ich all das erst nach meinem Traum erfahren habe und trotzdem mit dem starken Gefühl aufgewacht bin, diesem jungen Mann helfen zu wollen, zu dem ich in keiner Beziehung stehe.«
»Das ist gut«, sagte Aguado.
»Das glaube ich auch. Das Langweiligste an einer Depression ist ja, dass man so viel Zeit mit sich selbst verbringen muss«, sagte Falcón. »Ich bin froh, aus der ständigen Beschäftigung mit mir selbst auszubrechen.«
»Was hat Sie an Sebastián Ortegas Notlage angezogen?«
»Es gibt einige interessante Verbindungen. Pablo Ortega kannte Francisco Falcón. Er war mit ihm befreundet. Er hatte mich sogar schon einmal als Jugendlichen getroffen, aber ich konnte mich nicht an ihn erinnern. Wie Francisco ist er charismatisch und bisweilen sehr jähzornig. Außerdem hat er mir Dinge erzählt, die, wie ich hinterher erfahren habe, nicht stimmen. Es war ziemlich schwierig, bei ihm Wahrheit und Schauspielerei auseinander zu halten. Möglicherweise verbirgt er auch Dinge vor sich selbst. In einer späteren Befragung sagte eine Zeugin, dass sie ihn immer für entweder homosexuell oder asexuell gehalten hat.«
»Mein Gott… wir sprechen tatsächlich über den Schauspieler Pablo Ortega, oder nicht?«
»Ja, aber rufen Sie nicht gleich den Diario de Sevilla an«, sagte Falcón. »Er würde sich umbringen, wenn das bekannt würde.«
»Ich sehe die Parallelen zu Ihrer Situation«, sagte sie.
»Ich glaube, ich habe mich unbewusst mit Sebastián identifiziert und will ihm deshalb jetzt helfen.«
»Warum?«
»Weil ich mir selber helfen will.«
»Das ist gut, Javier«, sagte Aguado. »Ich möchte noch einmal auf Pablo Ortega zurückkommen…«
»Es gibt keine Beweise für die
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