Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
gestern.«
»In Santa Clara?«
»Am Ende der Avenida de Kansas City.«
»Ich weiß, wo Santa Clara ist«, erwiderte sie ärgerlich, doch der Ärger war sofort wieder verflogen, als sie ihn mit ihren großen braunen Augen ansah, wie immer, wenn sie etwas von ihm wollte. »Er hat gesagt… er hat gesagt…«
»Was, Inés?«
»Nichts«, sagte sie und ließ sein Knie los. »Er wirkt in letzter Zeit ein bisschen nervös.«
»Das liegt nur daran, dass er es jetzt offiziell gemacht hat. Die Ankündigung.«
»Welchen Unterschied macht das?«, fragte sie und hing an Falcóns Lippen, verzweifelt auf einen Einblick in die männliche Psyche hoffend.
»Du weißt schon… die totale Verbindlichkeit… kein Zurück mehr und so.«
»Aber es war doch auch vorher verbindlich.«
»Jetzt ist es offiziell… vor der Welt bestätigt. So etwas kann einen Mann nervös machen. Das Ende der Jugend. Kein Herumspielen mehr. Familie. Verantwortung als Erwachsener – der ganze Kram.«
»Verstehe«, sagte sie, obwohl dem offensichtlich nicht so war. »Du meinst, man bekommt Zweifel?«
» No, no, no, que no «, sagte Falcón. »Keine Zweifel, nur eine gewisse Nervosität bei der Aussicht auf Veränderung. Er ist siebenunddreißig, er war noch nie verheiratet. Es ist bloß eine Reaktion auf die zukünftigen physischen und psychischen Umbrüche.«
»Physisch?«, fragte sie verwirrt.
»Ihr werdet doch nicht in seiner Wohnung bleiben, oder?«, fragte Falcón. »Ihr werdet ein Haus kaufen… eine Familie gründen.«
»Hat Esteban mit dir darüber gesprochen?«, fragte sie und musterte sein Gesicht eindringlich.
»Ich wäre der Letzte…«
»Wir haben immer gesagt, dass wir ein Haus in der Innenstadt kaufen wollten«, berichtete sie. »Wir wollten in der Altstadt leben, in einem großen Haus wie deinem… vielleicht nicht so verrückt und monströs, aber im gleichen klassischen Stil. Ich suche seit Monaten… meistens alte Immobilien, die renoviert werden müssen, und nun rate mal, was Esteban gestern Abend gesagt hat?«
»Dass er etwas gefunden hat?«, fragte Falcón, ohne den flüchtigen Gedanken unterdrücken zu können, dass Inés ihn nur wegen seines Hauses geheiratet hatte.
»Dass er in Santa Clara leben will.«
Falcón starrte in ihre großen, verängstigten Augen und spürte, wie sich in seinem Kopf eine Art Karambolage in Zeitlupe anbahnte. Konsonanten blieben in seiner Kehle hängen wie Fischgräten.
»Genau«, sagte sie und lehnte sich beinahe triumphierend zurück, »es ist das absolute Gegenteil von allem, was wir uns vorgestellt haben.«
Falcón leerte sein Bier, bestellte ein neues und steckte sich die Paprika in den Mund.
»Was hat das zu bedeuten, Javier?«
»Es bedeutet«, sagte er, auf eine tragische Enthüllung zusteuernd, bevor er im letzten Augenblick abbog, »dass das Teil der emotionalen Umbrüche ist. Wenn sich in deinem Leben alles auf einmal verändert… verändert man sich mit… aber langsamer. Ich weiß das. Ich bin mittlerweile Fachmann in Sachen Veränderung.«
Sie saugte seine Worte begierig nickend auf, als ihre Augen plötzlich aufleuchteten, sie von ihrem Hocker sprang und zur Tür stürzte.
»Esteban!«, brüllte sie lauter als jedes Fischweib über die Straße.
Calderón blieb stehen, als habe man ihm ein Messer in die Brust gestoßen. Er drehte sich um, und Falcón erwartete förmlich, den Griff zwischen seinen Rippen hervorragen zu sehen; doch stattdessen bemerkte er – in dem Augenblick, bevor Calderón seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte – einen Ausdruck von Furcht, Verlust, Verachtung und einer eigenartigen Wildheit, als wäre der Mann tagelang in den Bergen gewesen. Dann lächelte der Juez strahlend übers ganze Gesicht. Inés und er gingen aufeinander zu und küssten sich leidenschaftlich mitten auf der Straße. Ein altes Paar, das im Fenster saß, nickte wohlwollend. Die Verlogenheit der Vorstellung ließ Falcón blinzeln.
Inés schleppte Calderón in die Bar. Seine Schritte stockten, als er Falcón auf dem Hocker sitzen sah. Konversation wurde betrieben, ohne dass einer dem anderen wirklich zuhörte. Biere wurden gekippt, Themen gestreift, und kurz darauf gingen Inés und Calderón. Falcón beobachtete, wie in Inés’ Unterarm eine Sehne hervortrat, als sie nach dem Arm ihres Verlobten fasste. Es war ein verzweifelter Griff. Diesen Mann würde sie niemals mehr loslassen.
Falcón bezahlte die Rechnung und fuhr nach Hause. Jede Ampel auf dem Weg war rot, und das
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