Die Toten von Santa Lucia
gestern im Auto dabei? Wer war das? Raus mit der Sprache!«
Gentilini hob die Augenbrauen. »Führst du deine Vernehmungen auch mit dem Holzhammer durch?«
Di Maio schnitt eine Grimasse und hängte sich ans Telefon. »Peppino, zwei caffè, ja, mit Zucker, vabenegrazieciao.«
Gentilini schwenkte den Zeigefinger. »Du weißt doch, dass du mich nicht bestechen kannst.«
»Also?«
»Na gut. Jedenfalls keine Fünfundzwanzigjährige. Zufrieden?«
»Fürs Erste«, grinste Di Maio und gähnte ausgiebig. »Gibt’s was Neues zu Amato und Benincasa?«
Gentilini zuckte die Achseln. »Das Motorradkennzeichen war gefälscht. Aber das ist ja nichts Neues. Der Bericht der Gerichtsmedizin …«
Das Telefon klingelte. Gentilini nahm ab. Er stöhnte lautlos, drehte sich dann weg. Es war Rosaria.
»Ja … Nein … Ja, natürlich, aber … Wieso zum Teufel … Ja … Klar … Also dann.« Er legte auf.
»Lass mich raten – deine Ex?«
»Hellseher.«
»Hat sie das nächste Papawochenende abgesagt?«
»Nein, den Mittwochabend.«
Gentilini und seine geschiedene Frau Rosaria hatten nach zähen Verhandlungen vor Gericht eine Dauervereinbarung getroffen, die vorsah, dass die Kinder jeden Mittwochabend, jedes zweite Wochenende und vier Wochen der Sommerferien bei ihrem Vater verbrachten. Oft kam es allerdings vor, dass Gentilini berufsbedingt einen Termin nicht einhalten konnte. Mord und Totschlag scherten sich einen Dreck um seinen Terminkalender. Seine Exfrau rächte sich dann, indem sie ihrerseits Termine absagte und als Grund die Schule oder die Freizeit der Kinder vorschob: »Isabella hat am Mittwoch Generalprobe mit der Theatergruppe« oder »Giorgio ist am Wochenende von einem Freund zum Segeln eingeladen worden, das gönnst du ihm doch sicherlich …« Klar gönnte er seinen Kindern alles. Auch dass sie ausgerechnet Mittwochabend von Rosarias Bruder, der sich alle Jubeljahre allergnädigst von Mailand nach Neapel herabließ, zum Pizzaessen eingeladen waren.
Es klopfte. Der neue Laufjunge der Bar an der Ecke kam herein, er trug ein Tablett mit zwei kleinen Plastikbechern, die mit Alufolie abgedeckt waren.
»In Plastikbechern?«, dröhnte Stefano vorwurfsvoll.
Der Barjunge, der höchstens vierzehn war, sah ihn erschrocken an. Aber Di Maiolachte bereits und hielt ihm ein Zweieurostück hin. »Rest für dich. Und nächstes Mal bringst du uns richtige Tassen.«
»Natürlich, Signor Commissario. Millegrazie.«
»So kommt er wenigstens nicht auf die Idee, auf die falsche Seite zu wechseln«, kommentierte Stefano, als der Junge den Raum verlassen hatte. »Gute Arbeit wird auch gut entlohnt.«
Gentilini nahm die Alufolie vom Becher. »Und du meinst, zwei Euro sind genug?«
»Bin ich Krösus?«
Das Telefon klingelte erneut. Di Maio nahm ab. Er lauschte, dann bedeckte er die Sprechmuschel mit der Hand. »Moment. Für dich, Gennaro. Cava. Er will sich mit dir aussöhnen.«
»Cava?« Gentilini streckte die Hand nach dem Hörer aus.
Cava war tatsächlich am Apparat. Aber nicht mit dem angekündigten Anliegen. Er hatte gerade den Anruf erhalten, dass im Hafenbecken eine Leiche trieb. Vielleicht Selbstmord. Vielleicht auch nicht.
»Ist Massone denn noch nicht da? Beim Zahnarzt? Gut, einer von uns kommt mit.«
Gentilini legte stöhnend auf. Dann drohte er Di Maio mit der Faust.
7
Die Frage war nur, wie Sonja ihre Tochter in der riesigen Stadt finden wollte. Sie war halsüberkopf abgereist. Lion fand ihr Vorhaben so absurd wie aussichtslos.
»Du suchst die berühmte Stecknadel im Heuhaufen«, hatte er gesagt. Vermutlich hatte er deshalb für alle Fälle seinen alten Freund Gentilini mobilisiert.
»Meine Tochter ist keine Stecknadel«, hatte Sonja hilflos protestiert.
Natürlich war auch sie nicht frei von Pessimismus und Zweifeln, diesen Energieaussaugern namens Das-wird-sowieso-nichts, Lass-es-bleiben, Das-klappt-nie-im-Leben. Aber sie fand es allemal erträglicher, die Sache planlos anzupacken als tatenlos zu Hause zu sitzen.
Sie würde auf ihren weiblichen Spürsinn vertrauen, hatte sie Lion entgegengehalten. Das war ein Gebiet, auf dem Männer selten mitreden konnten. Und ein gutes Argument, um unangenehme Diskussionen zu beenden. Aber wie sie konkret bei der Suche vorgehen sollte, wurde dadurch kein Stück klarer. Weiblicher Spürsinn schön und gut – in manchen Situationen war das nicht mehr als eine wohlfeile Floskel und basierte überdies ganz wesentlich auf Neugier. Doch Neugier verspürte Sonja nicht für
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