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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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Zeitung sinken. Gentilini strahlte sie mit seinem entwaffnenden Lächeln an und ließ sich in den Stuhl ihr gegenüber fallen. »Tut mir Leid, ich bin ein bisschen spät dran.«
    »Ist mir gar nicht aufgefallen«, entgegnete Sonja. »Aber Sie haben es gleich erfasst: Ich habe mich gut unterhalten. Mit Ihrer aktuellen Serie ›Tipps für die Frau von heute‹.«
    »Meine neue Kolumne«, grinste Gentilini. »Tipps für Männer kann ich leider nicht. Meine Erfolge als Kommissar sind zu bescheiden. Also musste ich mir ein neues Wirkungsfeld suchen.« Er sah sich nach dem Kellner um. »Haben Sie Geduld für einen weiteren Drink oder wollen wir lieber gleich essen gehen?«
    »Ich weiß nicht, ob das eine Frage der Geduld ist …«, erwiderte Sonja. »Aber wenn Sie auf meinen Hunger anspielen, dann kann ich warten, bis der ach so bescheidene Commissario sich den Arbeitsalltag von der Seele gespült hat.«
    Gentilini verzog das Gesicht. »Das dauert, fürchte ich, länger.« Er bestellte ein Glas Weißwein. »Und, wie war Ihr Tag? Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
    Lag in seinem Tonfall leichter Spott oder war das Einbildung? Sonja verspürte jedenfalls plötzlich keine Lust mehr, Gentilini von dem versuchten scippo zu erzählen und ihre plätschernde Unterhaltung mit einer weiteren Folge aus der Rubrik ›Tipps für die Frau, heute: Wie vermeide ich einen Überfall‹ zu speisen. Sie sagte nur, sie sei viel unterwegs gewesen und habe überall Luzies … das Foto der Tochter ihrer Freundin vorgezeigt. Fast hätte sie sich verplappert und sich als Luzies Mutter geoutet. Sie spürte, wie Wut in ihr hochstieg. Ja, sie war wütend, wütend auf diese Stadt mit ihren unverfrorenen Kleinkriminellen und kaltblütigen Verbrechern, wütend auf diesen Commissario mit seiner südländischen machodurchtränkten Leichtigkeit, nicht zuletzt wütend auf sich selbst.
    »Glauben Sie allen Ernstes, was Sie da gesagt haben? Dass alles an den Frauen hängt? Das finde ich ein bisschen zu einfach: Die Frauen sollen ihren Männern einheizen, und schon löst sich das Problem Camorra von selbst.«
    Der Commissario hob abwehrend die Hände. »So habe ich das nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass die Frauen die Einzigen sind, die ihre Männer vielleicht – aber wirklich nur vielleicht – zur Vernunft bringen können, damit sie mit dem sinnlosen Gemetzel aufhören.«
    Der Kellner brachte den Weißwein und ein Schälchen Erdnüsse. Gentilini nickte ihr zu, leerte das Glas dann zur Hälfte. Seine Stimme wurde leiser, eindringlicher. Er sah Sonja unentwegt an, die Flecken in seinen Augen aber bewegten sich nicht.
    »Bis auf wenige Ausnahmen sind es doch Männer, die in den Clans am Machthebel sitzen und mit anderen Männern illegale Geschäfte machen und Morde in Auftrag geben und Killer engagieren, die ebenfalls Männer sind, die wiederum andere Männer umlegen. Aber zu jeder Camorrafamilie, sei es in Forcella oder in den Quartieri Spagnoli oder in Torre Annunziata gehört auch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Frauen: Mütter und Großmütter, Töchter, Schwestern, Ehefrauen, ganz zu schweigen von den Freundinnen und Geliebten. Wenn all diese Frauen anfangen würden, sich zu weigern, wäre meiner Meinung nach schon sehr viel gewonnen. Wenn sie sagen würden, ich will nicht, dass mein Sohn, Enkel, Vater, Bruder, Ehemann, Geliebter als Nächster in die Schusslinie gerät! Wenn sie sagen würden, ich will verdammt nochmal nicht nächste Woche an deinem Grab stehen! Ich mach da nicht mehr mit, koch dir dein Zeug selbst, wasch dir dein Zeug selbst, hol dir selbst einen runter, aber ICH stehe einfach nicht mehr zur Verfügung!!« Seine Stimme war eine Spur härter und auch lauter geworden. »Das wäre doch wenigstens ein Anfang, glauben Sie nicht?«
    Sonja hielt seinem Blick stand. »Die Idee ist gut. Sie taucht nach jedem Krieg wieder auf. Nur dass auch dabei wie immer alles an den Frauen hängen bleibt.«
    Er beugte sich über den Tisch, näher zu ihr hin. »Und wenn das so wäre? Wenn die Frauen tatsächlich die bessere Hälfte der Menschheit wären? Wenn ihre Weigerung mitzuspielen wirklich helfen würde? Sozusagen als ultima ratio?«
    Sie zuckte die Achseln. »Wäre schön. Klar. Als Gedankenspiel. Wenn man Ihren Gedanken weiterdenkt, bedeutet das nämlich, dass die Frauen die Sache in der Hand haben, und zwar schon jetzt. Und das hieße, dass auch sie die Gewalt der Männer um der Macht willen dulden. Und die Männer? Warum halten die

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