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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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weniger, und genau darauf hattest du es angelegt. Und wäre der verfluchte Opel Kapitän nicht mit undichtem Kühler liegen geblieben, wäre es nicht mal dazu gekommen, aber dann wäre sie auch nicht schwanger geworden und säße jetzt nicht hier – wärehättewürdewenndann –, unsinniges Gefuchtel mit Möglichkeiten. Tatsache war erstens, dass es Luzie gab. Tatsache war zweitens, dass Antonio ungefähr vier Monate nach ihrer ersten Begegnung unangekündigt in Hamburg aufgetaucht war, woraus sich Tatsache Numero drei ergab: dass in Wirklichkeit aus der Romanze für eine Nacht eine Romanze für drei Nächte geworden war, nein, für drei Tage und drei Nächte, die Sonja vorgekommen waren wie Wochen und Monate … Und als er wieder in seinen zerbeulten Fiat gestiegen und hupend die Weidenallee hinuntergefahren war, wo sie damals zusammen mit Maris wohnte, hatte sie ihm lachend hinterhergewunken … Das waren die Tatsachen. Und ganz nebenbei war auch Tatsache, dass er hoch und heilig versprochen hatte wiederzukommen, ihr Antonio aus Neapel …
    Verräter, dachte sie versuchsweise, ganz kurz und ganz schnell, so wie man einen Finger in die heiße Milch taucht, um zu prüfen, ob man sich noch daran verbrennt. Elender Schuft!
    Sie trank den Martini in einem Zug leer und bestellte gleich einen zweiten. Um sich abzulenken nahm sie sich die Zeitung vor, die sie unter den Arm geklemmt und mitgenommen hatte.
    Der Doppelmord in den Quartieri Spagnoli beherrschte die Titelseite des Mattino. Auf einer großen Schwarzweißaufnahme war der Tatort festgehalten, man sah ein Polizeiauto und die Absperrung, im Hintergrund verschwommen die Metzgerei. Zwei kleinere Fotos zeigten die beiden Opfer, die wie Verbrecher aussahen: Giuliano Amato und Angelo Benincasa waren Cousins und zählten zum engeren Kreis um den Mariani-Clan. Mindestens zehn Schüsse waren auf sie abgefeuert worden, die beiden Männer auf der Stelle tot. Von den Killern fehlte bisher jede Spur. Augenzeugen hatten zwei schwere Motorräder davonbrausen sehen, die Täter trugen Integralhelme. Laut Bericht ging die Polizei davon aus, dass auch dieses Blutbad sich nahtlos in die Kette der Camorramorde einreihte, die Neapel seit vergangenem Herbst erschütterten. Der Reporter schrieb, die Schießerei könne als möglicher Racheakt für einen Überfall vor gut zwei Wochen gesehen werden, bei dem anlässlich der Haftentlassung von Riccardo Sanguinelli dessen Bruder Alfredo schwer verletzt worden war … Namen über Namen, die Sonja nichts sagten. Unter anderen Bedingungen hätte der Artikel sie kalt gelassen. Nicht ihre Welt. Eine der vielen Parallelwelten, in denen Macht das oberste Gebot war, Gewalt ein probates Mittel zu deren Durchsetzung darstellte und ein Menschenleben nichts zählte. Das Phänomen Mafia hatten sie in Deutschland auch, es gab immer wieder haarsträubende Berichte, die wahrscheinlich nur die oberste Schicht dessen bloßlegten, was wirklich ablief. Sie selbst war davon nicht betroffen und mochte auch nicht darüber nachdenken. Hier aber war das anders. Sie spürte ein gewisses Unbehagen. Vielleicht war der Überfall vor der Kirche daran schuld. Oder die Tatsache, dass sie gestern kurze Zeit nach der Schießerei am Tatort gewesen war und mit den Bewohnern gesprochen hatte.
    Sie blätterte um. Auf Seite zwei entdeckte sie in einem kleinen Kasten ein Interview mit Commissario Gennaro Gentilini. Auch von ihm war ein passfotogroßes Bild abgedruckt, auf dem er aussah wie ein abgekämpfter Popstar nach einem Dreistundenauftritt. Inhaltlich ging es um die Rolle der Polizei im Kampf gegen die Camorra. Der Reporter fragte, wie er fragen musste (ob die Polizei überhaupt noch handlungsfähig war, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um den Einfluss der Camorra einzudämmen), und der Kommissar gab entsprechende Antworten (natürlich, sonst hätte man uns längst ganz eingespart, wir tun, was wir tun können, aber ohne die Mithilfe der Bürger und Politiker geht gar nichts).
    Auf die Frage, wie lange dieser blutige Krieg unter den Camorraclans denn noch weitergehen werde, erwiderte Gentilini lapidar: »Es ist wie bei jedem Krieg. Bis die meisten tot sind. Oder bis die Frauen ihre Männer zur Vernunft bringen.« Daraufhin der Reporter, nicht weniger sarkastisch: »Also nie …«
    Sonja war perplex. Eine Antwort dieses Kalibers hätte sie dem Commissario nicht zugetraut.
    »Ich sehe, Sie unterhalten sich gut«, hörte sie ihn in dem Moment sagen. Sie ließ die

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