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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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Männer nicht inne und lassen ihre Pfeile und Bogen und Keulen endlich fallen?«
    »Weil sie dann die Frauen nicht mehr beeindrucken können.«
    »Wie wäre es mit Pilzesammeln?«
    »Da gibt es erstens zu viele giftige Sorten. Zweitens gilt es in Männerkreisen als unverzeihliche Schwäche, als Erster nachzugeben.«
    »Eben. Und wer eine Frau hat, die sich ihm im Bett, am Herd oder sonstwie verweigert, zählt sowieso nur noch als halber Mann. Wer nachgibt, hat dieser Logik zufolge in der Männerwelt doppelt verloren.«
    »Dann ist die Sache aussichtslos.« Er sah aus, als hätte ihm jemand sein liebstes Spielzeug weggenommen. Also aufrichtig betrübt.
    »Frauen, die sich verweigern, sind trotz allem eine schöne Utopie«, versuchte Sonja, deren Wut sich mittlerweile gelegt hatte, einzulenken.
    Und tatsächlich grinste er. »Also, ob ich da so pauschal zustimmen kann …«
    Der Commissario war wieder mit dem Auto gekommen, doch diesmal war auch das Auto in Zivil: ein alter, angerosteter Alfa Giulia – verfallene Eleganz, elementar ausgestattet, also ohne automatische Fensterhebel, Airbag, dreistufige Innenbeleuchtung, stattdessen mit beulentauglichem Blechmantel, potenter Hupe und selbstverständlich ohne Radio.
    »Sie müssen das Meer sehen«, sagte Gentilini missbilligend, als er hörte, dass Sonja sich an ihrem ersten Tag in Neapel ausschließlich im Geäst der engen Gassen bewegt hatte.
    Kurzerhand fuhr er rechts ran, bestellte über Handy den reservierten Tisch in einer Pizzeria – der besten Pizzeria der Stadt, wie er betonte – wieder ab und rief in einem anderen Restaurant an. Nach einigem Hin und Her war es dann offenbar möglich, dort noch zwei Plätze direkt am Wasser zu bekommen, allerdings erst in einer Stunde. Gentilini hatte, wenn Sonja die Wortfetzen richtig verstanden hatte, seine Beziehungen spielen lassen – vielmehr seine Position. Selbstzufrieden pfiff er vor sich hin. »In dieser Stadt bei der Kriminalpolizei zu sein muss doch wenigstens ab und zu einen klitzekleinen Vorteil abwerfen.«
    Er fuhr mit ihr zum Molo Beverello, wo die Fährschiffe nach Ischia, Capri und Procida ablegten, dann durch einen engen, kaum beleuchteten Tunnel zur sechsspurigen Via Caracciolo und weiter zum kleineren Yacht- und Motorboothafen von Mergellina. Die Uferpromenade war nicht übermäßig belebt. Es gab ein paar Stände mit Getränken und Snacks, wenige Fußgänger. Die Boote schaukelten auf dem Wasser. Ein paar Kinder kletterten über die Felsbrocken am Ufer. Ein weißes Tragflächenboot ritzte eine Spur in die Wasserfläche. Alles wirkte so friedlich. Man konnte problemlos den Autolärm ausblenden, Mord und Totschlag, alle Feindseligkeiten, alles, was laut, bedrängend, quälend war. Schon war das Leben nicht mehr eng, sondern weit, nicht sorgenbeladen, sondern verführerisch, vielversprechend – man stand auf der Sonnenseite, und alle Schatten lagen hinter einem.
    Sonja dachte, dass der Commissario jetzt eigentlich singen müsste. Es wäre genau die richtige Atmosphäre für Mandolinenklänge und ein pathetisches Lied. Doch dann wäre die Stimmung vielleicht umgekippt. Der berühmte Teelöffel Zucker zu viel.
    Die beiden Männer, die rauchend an der Steinmauer lehnten, hatten dem Meer den Rücken zugedreht. Vielleicht hatten sie heute schon zu viel davon gesehen, eine Art Sonnenbrand auf der Seele. Sonja hingegen konnte nicht genug bekommen.
    »Und – gefällt es Ihnen?«
    Sie nickte.
    »Ohne diese kleine tägliche Selbsttäuschung wäre diese Stadt unerträglich.«
    »Ich sehe wenig Leute, die das nutzen.«
    Er lachte. »Sie haben Recht. Eigentlich müsste jeden Abend die halbe Stadt hier versammelt sein und sich an diesem Blick besaufen. Eine bessere Droge gibt es kaum.«

13
    Auch in dieser Nacht schlief Sonja schlecht. Bei jedem Geräusch von draußen schreckte sie hoch, und es gab jede Menge Geräusche, Motorenlärm, Polizeisirenen, Geschrei, Knallen, Knattern, Scheppern, die ganze Palette von Lärm rauf und wieder runter. Die Nacht war ein hochwertiger Verstärker. Dazu kam die Hitze.
    Sonja lag nackt auf dem Bett. Todmüde und doch rastlos hatte sie entnervt die Decke und das Laken ans Fußende gestrampelt. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als einen riesigen Ventilator unter der Decke und nahm sich vor, gleich am nächsten Morgen einen Tischventilator zu kaufen, wie sie an jeder zweiten Ecke von Straßenhändlern feilgeboten wurden. Doch gegen ihre Gedanken hätte nicht einmal ein

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