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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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ihrer Abstellkammer darauf zu warten, dass Signora Russo an die Tür klopfte, um zu verkünden, ein Mann habe geklingelt und nach ihr gefragt … »Lieber auf der Piazza Bellini.«
    »Gute Idee«, sagte Gentilini. »In Neapel verspätet man sich schnell. In welchem Café?«
    »Keine Ahnung. Ich war noch nie da.«
    Der Commissario gluckste. »Aber Sie wissen, wo die Piazza Bellini ist?«
    »Ich habe einen Stadtplan.«
    »Dann im 1799 «, schlug er vor. »Man kann draußen sitzen. Ich freue mich.«
    »Ja«, sagte Sonja. »Ich mich auch.« Und das war keine Floskel. Sie freute sich wirklich.
    Sie hatte auf dem Stadtplan nachgesehen. Die Via San Biagio dei Librai, im Volksmund Spaccanapoli, begann in der Nähe des Bahnhofs in Forcella und erstreckte sich unter wechselnden offiziellen Namen quer durch die Altstadt bis nach Montesanto am Fuße des Vomero. Sonja folgte ein Stück der Via Tribunali und bog bei der Kirche San Lorenzo Maggiore links in die Via San Gregorio Armeno ein. Nach einer zweistündigen Siesta fühlte sie sich ausgeruht und für neue Strapazen gewappnet. Zu beiden Seiten der Gasse reihten sich lückenlos Läden aneinander, in denen, obwohl Weihnachten noch in weiter Ferne lag, Krippenfiguren feilgehalten wurden – nicht nur die Basisausstattung Maria, Josef, Jesuskind, Rind, Esel und die heiligen drei Könige, sondern hauptsächlich Figuren aus dem Volk: Limonenverkäufer, Bäcker, Schuster, Hirten, Bauern, Händler jeder Art, Dienstmägde mit Gänsen und Körben voller Eier, Schüsseln und Wannen mit Fischen, Kisten mit Orangen, Tische, randvoll mit Käse, Salami, Gemüse, alles natürlich en miniature, bunt bemalt und lackiert und von unterschiedlichster Größe und Qualität. Sonja konnte sich kaum satt sehen und erwarb schließlich ohne auch nur einmal um den Preis zu feilschen einen Angler, der auf einem Felsen saß, eine Frau mit einem Korb Artischocken auf dem Kopf sowie ein winziges Kohlebecken mit einer Kupferpfanne, in der noch winzigere Maroni lagen. Die Figuren wurden in Zeitungspapier verpackt. Da Sonja den Rucksack wohlweislich in ihrem Zimmer gelassen hatte, das dicke Päckchen mit den Einkäufen aber nicht den restlichen Nachmittag und den ganzen Abend mit sich herumtragen wollte, musste sie wohl oder übel noch einmal kurz in die Pension zurück. Dann machte sie sich erneut auf den Weg und widerstand der Versuchung, auch noch einen plätschernden Minibrunnen zu kaufen.
    Die Pensione Fonseca lag ein wenig abseits des Getümmels in einem ehemals herrschaftlichen Barockgebäude, das außerdem eine Anwaltskanzlei, ein Architekturbüro und diverse Privatwohnungen beherbergte. An der Tür im dritten Stock hing ein zweisprachiges Schild mit der Aufschrift occupato – full.
    Sonja klingelte, aber niemand öffnete. Auch nach erneutem Klingeln regte sich nichts. Sie wartete noch ein paar Minuten und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als zwei blonde junge Mädchen schwatzend und lachend die Treppe heraufkamen und auf die Pensionstür zusteuerten.
    »Are you looking for someone?«, fragte eine der beiden freundlich.
    Sonja erklärte kurz ihr Anliegen.
    »Lucia? Bei uns im Zimmer ist sie nicht, und ich wüsste nicht, dass in den letzten Monaten eine Lucia, aber … Am besten, wir sehen im Gästebuch nach.« Sie zog einen Schlüssel hervor und drehte ihn mindestens sechsmal im Schloss herum, bevor die schwere Tür aufging.
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Hamburg, und ihr?«
    »Aus Finnland. Ich heiße Tuula. Das ist Anna.«
    Auch Sonja nannte ihren Namen. »Wie lange seid ihr schon in Neapel?«
    »Acht Monate. Und Sie?«
    »Seit gestern.« Tuula erklärte, sie würden in Neapel studieren. Sie standen im weitläufigen Vorraum der Pension. Blickfang des mindestens vier Meter hohen Zimmers war ein gewaltiges, üppig geschwungenes barockes Sitzmöbel, davor stand ein ebenfalls ausladender alter Tisch mit Löwenpranken als Beinen, flankiert von drei eher zierlichen Stühlen. Anna schlug ein dickes großformatiges Buch auf, das auf dem Tisch lag.
    »Sie können selbst nachsehen. Eigentlich schreibt jeder, der mal hier gewohnt hat, etwas in das Buch. Die Besitzerin der Pension ist eine ganz süße alte Dame aus irgendeinem Adelsgeschlecht …«
    »… Gelsomina di Fonseca, sie ist mindestens neunzig, und ihr gehört der ganze Palazzo …«
    »… sie wohnt allein ganz oben und kommt jeden Tag so gegen sechs einmal runter, um sich ein bisschen mit den Pensionsgästen zu unterhalten. Viele sind ja schon

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