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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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etwas, was du mir dringend sagen wolltest?« Ihre Stimme klang schriller, als ihr lieb war.
    »Was hast du gesagt?«
    Sie hielten vor einem hässlichen Gebäude, offenbar dem Polizeipräsidium. Der Pförtner nickte ihnen zu.
    »Tut mir Leid«, sagte Gentilini, als der Aufzug sich in Bewegung setzte. Es war nicht klar, was er meinte, aber es hörte sich aufrichtig an.
    Jetzt war Sonja diejenige, die schwieg. Was sollte sie auch sagen? Sie spürte nur eine wachsende Beklemmung. Was zum Teufel wollte er ihr zeigen? Was immer es war, es konnte nichts Gutes sein.
    Oben angekommen ging Gentilini voraus, einen langen, nur von Kunstlicht beleuchteten Korridor entlang, an dessen Wänden mittelmäßige Drucke neapolitanischer Sehenswürdigkeiten hingen. Die Atmosphäre erinnerte Sonja an den zweifelhaften Charme deutscher Behörden. Auch in Lions Abteilung hatte es früher ähnlich ausgesehen. Erst seit das Polizeipräsidium im neuen Gebäude am Stadtpark residierte, war die Atmosphäre dort freundlicher, heller, lichter – laut Lion, »um Durchblick vorzutäuschen.«
    Neben Sonja wurde eine Tür aufgerissen, ein Mann wollte das Zimmer verlassen, überlegte es sich aber offenbar anders, denn die Tür knallte blitzartig wieder zu. Gentilini zog die Augenbrauen hoch, murmelte etwas, das eindeutig unfreundlich klang. Schließlich öffnete er eine Tür zu seiner Rechten, an der ein dickes Rauchverbotsschild prangte.
    Sie betraten ein mittelgroßes, unordentliches, stickiges Zimmer, zwei Schreibtische Kopf an Kopf, darauf Berge von Akten und Papier. Kein Kollege in Sicht.
    »Bitte, setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?«
    »Nein«, sagte Sonja und legte so viel Kühle in ihre Stimme wie bei diesen Temperaturen möglich. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich um. Ihrem sondierenden Blick entging weder das Foto von fünf Kindern, die sich um eine Frau gruppierten, noch auf dem Schreibtisch gegenüber ein zweites Foto, auf dem zwei Jugendliche abgebildet waren. Aha, dachte sie enttäuscht: Er ist unglücklich bis glücklich verheiratet, Vater von zwei bis fünf Kindern. Vielleicht ist er allergisch gegen Eheringe.
    Aber er hatte sie sicherlich nicht hierher geholt, um ihr das zu zeigen. »Sag mir jetzt endlich, was das soll, diese überfallartige Entführung ins Reich der Kriminalpolizei. Ist das dein ganz persönlicher Stil?« Ihr Ärger war nicht zu überhören. Ihr Blick fiel auf die heruntergelassenen Jalousien. Spöttisch fügte sie hinzu: »Man hat nicht mal einen Blick aufs Meer.«
    Gentilini räusperte sich, seine Stimme war belegt. »Man hat auch selten Zeit rauszusehen.«
    Er ging zu einem der Schreibtische – nur zwei Kinder, registrierte Sonja – und griff nach einer Umlaufmappe, die ganz oben lag. Er öffnete sie und entnahm ihr eine Art Klarsichthülle, die er Sonja reichte, ohne sie dabei anzusehen.
    In der Hülle lag ein Foto. Es war nicht groß, größer als ein Passfoto, etwa Postkartenformat. Das Foto zeigte ein junges Mädchen. Es war nicht das Foto, das Sonja Gentilini in der Trattoria gezeigt hatte, aber es war unverkennbar dasselbe Mädchen.
    Sonja wurde blass. Ihr Ärger war verflogen, an seiner Stelle kroch ihr nun Angst in die Glieder. Nein, dachte sie, bitte nicht, nein.
    »Ist sie das?«, fragte Gentilinis Stimme wie von weit her.
    »Luzie«, stammelte Sonja. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern. »Woher hast du das …? Wieso …? Was …?«
    Er schob ihr einen Stuhl hin, damit sie sich setzen konnte. »Ich … wollte nur sicher sein, dass es keine Verwechslung ist.«
    Sonja nickte. Das Schwarzweißfoto zeigte ihre Tochter im Bikini. Vor einer Balkonbrüstung. Wie ein Model stand Luzie da. Gut sah sie aus. Entspannt, jung. Verführerisch sah sie dem Fotografen entgegen. Dreizehnter fünfter null fünf, hatte jemand mit dünnem Stift auf die Rückseite des Fotos geschrieben. Das war etwa zwei Wochen her. Sonja kannte die Handschrift ihrer Tochter, das war nicht Luzies Handschrift, ihre Fünf sah anders aus. Aber der Dreizehnte, schon wieder der Dreizehnte … Sant’Antonio, immer wieder Antonio, der Schutzpatron der Liebenden, der in allen Lebenslagen half, aber wo blieb das Glück, wo zum Teufel blieb das Glück …
    Sie starrte den Commissario an. Jetzt sag’s schon, dachte sie wie ferngesteuert, spuck’s schon aus, sag endlich, dass Luzie tot ist, trau dich doch, du Feigling – aber sie bekam kein Wort heraus.
    Gentilini räusperte sich erneut. »Ich habe das Foto in der

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