Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
Vom Netzwerk:
Notizzettel aus ihrer Tasche. Auf dem Zettel waren drei Nummern notiert. Die oberste Nummer war die von Lion, die zweite die Büronummer von Gentilini, die dritte sagte Sonja nichts.
    »Der erste Anruf kam aus Deutschland.«
    Unterschwellig war herauszuhören, dass Signora Russo dahinter den Ehemann oder Lebenspartner ihres Pensionsgasts vermutete. Und folgerichtig hinter dem zweiten Anrufer Sonjas neapolitanischen Liebhaber. »Der andere Mann hat gleich fünf- oder sechsmal angerufen«, fuhr sie missbilligend fort. »Ein gewisser Gentilini. Können Sie diesem Signore bitte ausrichten, dass er das in Zukunft unterlassen soll. Ich bin schließlich nicht Ihre Sekretärin. Haben Sie kein Handy?«
    Das hatte Sonja heute auch schon bedauert. Sie überging den Vorwurf, aber offenbar wurde auch keine Antwort erwartet, denn die Vermieterin fuhr übergangslos fort: »Er hat gesagt, es ist dringend. Er hat gleich zwei Nummern hinterlassen. Sie können ihn auch spät abends anrufen, hat er gesagt.« Was sie von dieser Tatsache hielt, war eindeutig, denn als sie an der Tür zur Küche angelangt war, drehte sie sich noch einmal um: »Ich habe Sie heute Morgen gar nicht aus dem Haus gehen hören. Falls ich das vergessen haben sollte, Männerbesuch ist in dieser Pension …«
    Sonja, die schon auf dem Weg zum Telefon war, drehte sich um. Jetzt reichte es. Einer spontanen Eingebung folgend sagte sie: »Habe ich übrigens schon gesagt, dass das Zimmer ab morgen wieder frei wird?«
    »Ach … Gefällt es Ihnen hier nicht?« Ein anzügliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Verstehe, Sie haben sich anderweitig einquartiert, privat sozusagen …«
    Was für eine Frechheit. Nur weg hier, dachte Sonja, eine andere Pension wird sich finden – oder sie zog gleich in eins der Luxushotels am Lungomare, für zwei Nächte könnte sie sich das eigentlich gönnen. Dieser Gedanke besänftigte sie ein wenig. In den letzten Wochen war sie viel zu leicht aus der Fassung zu bringen, aber heute waren auch ihre Müdigkeit und diese verdammte Abstellkammer daran schuld.
    Sie wählte Gentilinis Dienstnummer, doch niemand nahm ab. Daraufhin versuchte sie es unter der anderen Nummer.
    »Sonja … finalmente … dove sei?«
    Seit wann duzten sie sich? »In der Pension …«
    »Bleib, wo du bist. Ich hol dich ab. In zwanzig Minuten bin ich da.«
    »Aber was …«
    »Erklär ich dir später. Rühr dich nicht vom Fleck. Ich muss dir etwas zeigen. Ciao.«
    Sonja ließ irritiert den Hörer sinken. Irgendetwas lief hier schräg. Sollte das der plumpe Auftakt zu einem weiteren gastronomischen Ausflug sein? Dieses fröhliche Duzen und seine hektische Stimme – das passte nicht zusammen. Und schon wieder hatte er ihr keine Wahl gelassen: zack, bumm, du wartest, ich komme.
    Nach über zwölf Stunden in der heißen, staubigen Stadt brauchte sie dringend eine Dusche. Im Gegensatz zur Abstellkammer war das Badezimmer eine Halle, in der man mühelos vier Badewannen hätte unterbringen können. Oder vier Betten, dachte Sonja. Vielleicht sollte sie der Signora den Vorschlag machen. Damit wäre noch mehr Geld zu verdienen. Aus dem Duschkopf sickerte allerdings nur ein geiziger Strahl lauwarmes Wasser. Der Mann in der Sprachenschule hatte Recht gehabt: Man brauchte in dieser Stadt wirklich Geduld.
    Gentilini war schneller da, als sie gedacht hatte. Er war wortkarg und wirkte angespannt. Selbst sein Lächeln gelang ihm nicht überzeugend. Als sie im Dienstwagen saßen, setzte er sofort seine Sonnenbrille auf.
    »Schönen Tag gehabt?«
    Sie bejahte. »Und selbst?«
    »Così.«
    »Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich dich duzen will.«
    Er nickte zerstreut. »Stimmt. Soll nicht wieder vorkommen. Wollen wir uns lieber wieder siezen?«
    »Blödsinn.«
    »Ich heiße Gennaro.«
    »Sonja.«
    Eine Weile schwiegen sie. Es machte nicht den Anschein, als würde Gentilini ihr diesen dringlichen Ausflug aus eigenem Antrieb erklären wollen.
    »Darf ich fragen, wo wir hinfahren?«
    »Ins Polizeipräsidium.«
    »Warum? Was ist los? Du bist so komisch … Was willst du mir zeigen?«
    »Nicht hier.« Mehr sagte er nicht. Schweigen. Brütende Hitze. Gentilini fuhr reichlich flott, er hatte es eindeutig eilig.
    »Ich habe etwas herausgefunden«, begann Sonja.
    »Ach ja?« Es klang höflich, aber nicht wirklich interessiert.
    Geistesabwesende Männer waren ein Problem, das Sonja trotz ausreichenden Studienmaterials noch nicht zufriedenstellend gelöst hatte.
    »Sonst noch

Weitere Kostenlose Bücher