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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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Bianche durchgesucht, Neapel und Provinz Neapel, dann Kampanien, dann Rom und als Stichprobe Mailand. Das war Routinearbeit, langweilige, stupide Routinearbeit. Am liebsten hätte er so etwas immer einem Kollegen einen oder zwei Dienstgrade unter sich übertragen, aber da er sich nur zu gut daran erinnerte, wie er selbst am Anfang seines Berufslebens diese stupiden Such-und Abgrasaufträge gehasst hatte – und nicht nur die, sondern auch die Vorgesetzten, die sich genüsslich vom Hals schafften, was sie selbst wiederum Jahre zuvor hatten ertragen müssen –, verzichtete er darauf. Getretenwerden und dann irgendwann Wiedertreten war die ebenso primitive wie prächtig funktionierende Grundidee, die hinter dem Delegieren unliebsamer Aufgaben steckte. Also gab er sich lieber von Zeit zu Zeit selbst einen Tritt und tat das Unvermeidliche.
    Das ungute Gefühl jedoch, das sich diesmal beim Durchforsten des elektronischen Telefonbuchs eingestellt hatte, war nicht auf seinen unterdrückten Widerwillen zurückzuführen. Eine Vielzahl von Männern mit dem Namen Antonio Di Napoli trieben in diesem Land ihr Wesen beziehungsweise ihr Unwesen. Es waren so viele! Gentilini hatte auf den Bildschirm gestarrt, als hätte er noch nie in seinem Leben Hunderte identischer Namen gesehen, die sich aneinander reihten wie Klone in düsteren Zukunftsvisionen.
    Von einem spontanen Impuls getrieben, hatte er angefangen, nach seinem eigenen Namen zu suchen. Gentilini war zwar längst nicht so verbreitet wie Di Napoli, aber trotzdem hockten überall in Italien seine Doppelgänger. Es war ihm kalt den Rücken heruntergelaufen. Er hatte die Listen ausgedruckt. Er hatte zum Telefonhörer gegriffen und wahllos eine der Nummern gewählt – die eines gewissen Gennaro Gentilini aus Turin. Der Mann hatte sich mit einem unfreundlichen »Pronto« gemeldet.
    »Bin ich mit Gennaro Gentilini verbunden?«, hatte der Commissario gefragt.
    »Sì. Wer ist denn da?«
    Daraufhin hatte Gentilini wahrheitsgemäß gesagt, er heiße ebenfalls Gennaro Gentilini und lebe in Neapel. Mit einem empörten Schnauben hatte sein Namensvetter die Verbindung unterbrochen.
    Gut möglich, dass der Commissario umgekehrt nicht anders reagiert hätte. Vielleicht hätte auch er geglaubt, es mit einem schlechten Scherz zu tun zu haben. Aber das war es nicht. Es war kein Scherz. Da war diese tief wurzelnde Verunsicherung, die ihn in großen Zeitabständen heimsuchte und sich diesmal wahrscheinlich aufgrund des gestrigen Alkoholexzesses ihren Weg an die Oberfläche gebahnt hatte. Unerwartet begann für ihn der Boden seiner Existenz zu wanken und zu bröckeln, Fragen taten sich auf wie Abgründe mit der Überschrift: Warum tust du, was du tust? Warum lebst du, wie du lebst?
    Ein in Rom aufgestöberter Gennaro Gentilini hatte freimütiger reagiert als der Namensvetter aus Turin. Sie hatten Alter, Hobbys und Beruf verglichen, aber in letzter Konsequenz war der Commissario doch zu feige gewesen und hatte vorgegeben, er sei Koch. Ein spontaner Einfall. Vielleicht aber war umgekehrt auch der andere gar nicht Autohändler, wie er gesagt hatte. Man wusste es nicht. Man wusste nicht, wer der andere war. Jeder konnte den anderen anlügen und betrügen.
    Zu guter Letzt hatte Gentilini auch noch im kripointernen Netzwerk nach sich selbst gesucht – und, was für ein Wunder, sich selbst gefunden: Commissario Gennaro Gentilini. Doch damit nicht genug – auch einen weiteren Gennaro Gentilini hatte er entdeckt, der wegen Trickbetrügerei in Padua inhaftiert war. Der Commissario hatte sich das zugehörige Dossier ausgedruckt, es dann aber doch nur überflogen. Was sollte das alles? Was wollte er sich damit beweisen? Dass er er selbst war und kein anderer?
    Er hatte telefonisch einen doppelten Espresso bestellt, um wenigstens einen handfesten Grund für das innere Flattern zu schaffen, und während er wartete, hatte er im Kriponetzwerk nach Antonio Di Napoli gesucht. Wenn Gennaro Gentilini schon doppelt vertreten war, mussten die Männer namens Antonio Di Napoli in proportionaler Entsprechung mindestens zehnfach zu finden sein. Welcher Teufel ihn da wieder geritten hatte – nein, nicht der Teufel, eine Vorahnung …
    Der erste, den er gefunden hatte, war über sechzig und stand auf einer Fahndungsliste der Polizei der Provinz Friaul. Der zweite kam aus Neapel – und war tot. Gentilini hatte instinktiv gewusst, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
    Antonio Di Napoli, geboren am 6. Dezember 1961 in

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