Die Toten von Santa Lucia
dagegen ist man einfach machtlos«, grinste Gentilini. Er ließ den Motor an.
Unterwegs berichtete Sonja von ihrer Begegnung mit Vittorio Di Napoli. Der Himmel war jetzt wieder viel heller, aber das Wasser in Neapels Straßen floss nur sehr zögerlich ab. Gentilini und Sonja glitten langsam dahin wie über die Oberfläche eines Sees. In der Riviera di Chiaia stand das Wasser so hoch, dass sie einen Umweg über die Via Filangieri, die Via dei Mille und diverse kleinere Straßen fahren mussten. Hinter Mergellina ging es bergan, sie ließen die Überschwemmungen hinter sich. Die Häuser wurden nach und nach zu Villen, die Gärten um die Häuser zu kleinen Parks, die Aussicht auf den Golf von Neapel immer phantastischer. Postkartenblick.
Rechtzeitig um kurz vor sechs hielten sie vor einer Appartementanlage in der Via Manzoni. Das Gebäude war zwar eher unspektakulär, aber die Tatsache, dass der Rasen um die Anlage eine sattgrüne Farbe aufwies, sprach Bände und war unter Garantie nicht auf das soeben heruntergegangene Gewitter zurückzuführen.
»Da war ein Gärtner am Werk«, brummte Gentilini. »Hier oben hockt das Geld in jeder Mauerritze. Fusco scheint ein Händchen für schöne Wohn- und Lebenslagen zu haben.«
Die Zufahrt zu der Wohnanlage wurde von einem schweren, automatisch betriebenen Tor versperrt. Seitlich befand sich eine kleinere Tür, daneben eine Klingelanlage. Gentilini suchte nach dem Namen, drückte auf den Knopf. Niemand rührte sich, auch nach mehreren Versuchen nicht.
»Vielleicht ist er unterwegs in den Fluten stecken geblieben«, sagte Sonja.
Gentilini nickte frustriert. Er versuchte mehrfach, Fusco über Handy zu erreichen, nur um wiederholt gesagt zu bekommen, dass der gewünschte Teilnehmer zur Zeit nicht zu erreichen sei. Sie warteten eine halbe Stunde, ohne dass Fusco aufgetaucht wäre. Auch im Kommissariat hatte er den Termin nicht abgesagt.
»Der hat uns versetzt.« Der Commissario war stocksauer. »Immer diese Leute mit Geld, die denken, sie können unsereinem auf der Nase herumtanzen. Was glauben die eigentlich, wer sie sind!«
»Vielleicht konnte er aus irgendeinem Grund nicht anrufen«, sagte Sonja.
»Du kennst diese Typen nicht. Ihre bodenlose Arroganz! Nachher stellt sich dann immer raus, sie waren bei einem Empfang bei Direktor XY, oder sie tischen einem die Nummer mit dem Auto auf, das nicht anspringen wollte, dabei fahren sie nur fabrikneue Luxusschlitten. Früher konnte man sich immer noch mit dem Verkehrschaos rausreden, das ist zum Glück vorbei! Nicht das Chaos, aber inzwischen gibt es Handys, alle Welt ist jederzeit kommunikationsbereit, jeder arme Schlucker hat mittlerweile eins, nur der Herr Großmogul von und zu lässt per Mailbox abwimmeln und auf sich warten …«
Der Wutausbruch des Commissario zauberte den Wohnungsbesitzer zwar auch nicht herbei, aber wenigstens machte Gentilini sich etwas Luft. Schließlich hatte er sich so weit beruhigt, dass er ins Auto stieg, wobei er sich allerdings schwor, Fusco bis ans Ende der Welt zu verfolgen, sollte er dieses Spielchen am nächsten Tag noch einmal wiederholen.
»Wer weiß, vielleicht ist er ja tot«, sagte Sonja ungerührt. »Ist doch möglich.«
Gentilini lachte kurz und bitter. »Deinen Humor möchte ich haben.«
»Das war ernst gemeint. Schließlich gehört ihm die Wohnung, in der Zazzera erschossen wurde.«
»Nur weil bei uns im Schnitt jeden Tag ein Mord geschieht, heißt das noch lange nicht, dass jeder, der zu einer Verabredung nicht auftaucht, erschossen wurde«, sagte er. »Und jetzt Schluss damit. Soll ihn der Teufel holen! Basta!« Dann lud er Sonja zu sich nach Hause zum Abendessen ein.
Die Wohnung kam ihr riesig vor. In Deutschland hausten Singles oft in der Sorte kleiner Appartements, für die Sweet Home Monat für Monat praktische Ideen publizierte. Auch Lion lebte in einer Miniwohnung, Gaby war erst kürzlich in eine winzige Dachgeschosswohnung gezogen und hatte sich bei Sonja mit Tipps eingedeckt. Insbesondere die Dachterrasse mit Blick auf den Vomero war grandios. Vom Vorbesitzer hatte Gentilini die auf meterlange Holzkästen verteilten Gemüsebeete übernommen, die er ihr stolz präsentierte: Tomaten, Zucchini, Paprika, Salat, Rucola, Basilikum. Eine Schildkröte namens Arturo, die er für die Kinder gekauft hatte, kroch über die Terrasse.
Während der Commissario in der Küche hantierte, das Wasser für die Pasta aufsetzte und einen Tomatensugo zubereitete, ging Sonja im Flur auf und ab
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