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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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richtig?«
    Sonja nickte.
    »Sie hat die Unterlagen nicht ohne fremde Hilfe lesen können«, folgerte er. »Außerdem fehlen ihr die Hintergrundinformationen, um etwas so Kompliziertes und Verschachteltes zu verstehen. An wen hat sie sich also gewandt? Wem hat sie das alles gezeigt? Einem Lehrer in der Sprachenschule? Denkbar. Libero Zazzera, mit dem sie offenbar liiert war? Schon wahrscheinlicher. Hat Libero Zazzera die Unterlagen lesen und verstehen können? Natürlich. Er ist kein Analphabet und in Neapel aufgewachsen. Er kapiert schnell, worum es in den Papieren geht. Er informiert sich, zieht seine Schlüsse. Und er sieht seine Chance. Seine ganz persönliche Chance, endlich aus der Schmuddelecke als Kleindealer und Gelegenheitsfotograf rauszukommen. Typen wie ihn gibt es hier zu Hunderten: Abitur, maximal ein, zwei Studienjahre, also einiges an Ausbildung, aber nichts, das Geld einbringt. Leute wie Zazzera haben weder die richtigen Verbindungen, um im Verbrechermilieu groß zu werden, noch die nötigen Verbindungen, um auf legalem Weg die Karriereleiter hochzuklettern. Sie sind intelligent, sie wollen auch einen Teil vom Kuchen abhaben, aber sie haben trotzdem keine Chance. Und wenn sich ihnen eine Chance bietet, greifen sie zu. Nur unterschätzen sie leider oft, wie heiß das Feuer ist, mit dem sie spielen …«
    Es fing heftiger an zu regnen, aber weder Sonja noch Gentilini machten Anstalten, sich irgendwo unterzustellen.
    »Niemand weiß genau, was Di Napoli damals konkret herausgefunden hat«, fuhr Gentilini fort, »aber offenbar nennt er in den Unterlagen Namen. Namen von Leuten, die um ihren Ruf fürchten, sei er nun gut oder schlecht. Und die dafür über Leichen gehen, denn offenbar hatte Di Napoli auch Beweise zur Hand. Zazzera benutzt das Material und versucht, die genannten Personen zu erpressen. Und das ist ihm schlecht bekommen … Wir müssen unbedingt so schnell wie möglich diesen Abruzzese zum Reden bringen. Wenn wir wissen, wer sein Auftraggeber ist, dann …«
    Ein ohrenbetäubender Donnerschlag ließ sie beide erschreckt zusammenfahren. Das Gewitter war fast über ihnen. Gentilini hatte seinen Dienstwagen vor dem Polizeipräsidium abgestellt, es war nur ein Katzensprung zur Via Medina, aber als sie am Auto ankamen, waren sie bis auf die Haut durchnässt. Sie ließen sich auf die Sitze fallen. Die Tropfen pladderten wie ein Wasserfall auf die Windschutzscheibe und das Autodach. Im Nu waren die Scheiben von innen beschlagen. Was man noch von der Straße erkennen konnte, war ein einziger verschwommener grauer See.
    »Wir müssen Luzie finden. Wir müssen sie endlich finden.« Sie fühlte sich so hilflos. »Wenn sie das Manuskript bei sich hat, ist sie in größter Gefahr.«
    »Ich habe heute früh eine landesweite Suchmeldung für sie rausgeschickt«, erwiderte Gentilini und versuchte, möglichst viel Zuversicht, Optimismus und Alles-wird-gut-Gelassenheit in seiner Stimme unterzubringen. »Wir finden sie.« Dann begann er leise zu singen.
    Era de maggio e te cadeano ‘nzino
a schiocche a schiocche li ccerase rosse …
Fresca era ll’aria e tutto lu ciardino
addurava de rose a ciente passe …
    Sonja lehnte sich im Autositz zurück. Es gab im Moment nichts, was sie tun konnte. Mairegen. Sie dachte, dass das Fußballtraining nun wohl doch ins Wasser gefallen war. Und dass sie jetzt in Neapel eine Art Familie hatte. Dann wanderten ihre Gedanken zu dem Urlaub mit Luzie auf dem Campingplatz in Bibione, als es drei Tage nonstop wie aus Kübeln geregnet hatte und das Wasser nicht mehr abgeflossen war und eine Handbreit hoch in ihrem Zelt gestanden hatte … Irgendwann dachte sie gar nichts mehr und ließ sich von der Melodie forttragen –
    turnarraggio quanno tornano li rrose, si stu sciore torna a maggio pure a maggio io stonco ccà …

28
    Der Regen wurde allmählich schwächer. Sonja hatte kein Gefühl dafür, wie viel Zeit vergangen war. Es hätten Minuten sein können oder auch Stunden.
    Gentilini sah auf die Uhr. »Schon halb sechs. Ich muss los. Um sechs habe ich eine Verabredung mit dem Besitzer der Dachwohnung in der Via Palepoli. Ich möchte von ihm wissen, wem er die Wohnung eigentlich vermietet hatte, Zazzera oder vielleicht sogar deiner Tochter. Denn falls er sie an Luzie vermietet haben sollte, weiß er vielleicht auch, wie man sie erreichen kann. Einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
    »Ich komme mit«, sagte Sonja augenblicklich.
    »Das hast du am Montag schon mal gesagt,

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