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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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und telefonierte. Mit Lion, mit Maris, mit ihrer Mutter, die auf den zweiten Anruf innerhalb so kurzer Zeit berechtigt misstrauisch reagierte und fragte, ob etwas nicht stimme.
    »Neinnein«, wehrte Sonja mit aufgesetzt fröhlicher Stimme ab. »Ich wollte dir nur meine neue Handynummer durchgeben. Für den Fall, dass etwas ist.«
    »Was soll denn schon sein? Ich bin kerngesund, wenn du das meinst. Mich bringt ihr noch lange nicht unter die Erde …«
    Sonja beendete das Gespräch entsprechend rasch.
    Ihre Gedanken kreisten unentwegt um ihre Tochter. Gentilini hatte schon zweimal im Kommissariat angerufen, um zu fragen, ob Abruzzese sich endlich entschlossen hatte auszupacken, aber die Vernehmungen schienen auf der Stelle zu treten. Anrufe aus Hamburg waren keine eingegangen, die Resonanz auf die landesweite Suchmeldung nach Luzie war bisher gleich Null. Gentilini hatte schließlich angeordnet, dass alle Anrufe zu ihm nach Hause umgeleitet würden und dass er augenblicklich informiert wurde, sobald sich auch nur eine noch so klitzekleine Neuigkeit in Sachen Luzia Zorn ergab oder Abruzzese zu reden beschloss.
    Es gab nichts, was sie im Moment tun konnten, außer sich auf die Dachterrasse zu setzen und zuzusehen, wie die Nacht sich Stück für Stück den Tag einverleibte. Als es dunkel genug war, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet, die das Castel San Elmo in ein warmes und das Museo di San Martino in ein kaltes Licht tauchten.
    Gentilini hatte eine einfache Tomatensauce gekocht, von einem üppigen Strauch Basilikum ein paar Blätter abgezupft und eine gute Flasche Rotwein geöffnet. Erst eine, dann eine zweite.
    Um Sonja abzulenken, fing er an, von seiner weit verzweigten Familie zu erzählen. Er hatte eine ältere Schwester und zwei jüngere Brüder. Einer war mit einer Französin verheiratet, hatte drei Kinder und lebte in der Nähe von Tours, der andere war Single und wohnte in New York. Der Bruder in New York, Michele, war Musiker, der Bruder in der Touraine, Lorenzo, verdiente sein Geld als Reiseführer für italienische Gruppen, die von einem der Loire-Schlösser zum nächsten fuhren. Die Schwester hieß Valentina, hatte drei schon erwachsene Töchter und arbeitete als Lehrerin in einer Schule in Portici. Mehr Details konnte Sonja sich beim besten Willen nicht merken. Gentilini hatte außerdem dreizehn Tanten und Onkels, aus deren Ehen ungefähr dreißig Cousins und Cousinen hervorgegangen waren, so genau habe er nie nachgezählt, sagte er. Bei runden Geburtstagen würden Familientreffen veranstaltet, zu denen nie alle Angehörigen kommen konnten, was in dem Restaurant, das zu diesem Zweck angemietet wurde, nicht groß auffiel.
    Sonja hatte überhaupt keine Geschwister und konnte nur einen einzigen Cousin vorweisen. Sie sagte, sie habe sich oft eine größere Familie gewünscht. Gentilini erwiderte, bei ihm sei es umgekehrt gewesen. Er habe sich von den vielen Verwandten manchmal regelrecht umzingelt und in die Enge gedrängt gefühlt.
    »Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn acht neapolitanische Tanten auf dich einreden? Oder fünf Onkel dich zur Seite nehmen, um mit dir über deine berufliche Zukunft zu sprechen?«
    »Was solltest du denn alles werden?«
    »Bäcker, Automechaniker, Telekomangestellter, Bankdirektor, Notar, Polizist.«
    »Und was wolltest du werden?«
    Gentilini grinste. »Dreimal darfst du raten.«
    »Kapitän auf einem Ozeandampfer?«
    »Falsch.«
    »Schildkrötenforscher?«
    »Nicht schlecht, die Idee. Könnte mir direkt Spaß machen.«
    »Opernsänger?«
    In dem Moment klingelte das Telefon. Sonja sprang wie von der Tarantel gestochen hoch. Dabei fiel die Weinflasche um, was jammerschade war. Außerdem gab es keinen Grund zur Panik, denn die Anruferin war eine Freundin von Gentilini, die ihn in einer juristischen Angelegenheit um Rat fragen wollte, das Gespräch aber schnell beendete, als sie mitbekam, dass er Besuch hatte.
    Er öffnete eine dritte Flasche Wein und stellte einen Teller mit einem frischen Stück Parmesan auf den Tisch, von dem er mit dem Messer kleinere Stücke herunterbrach. Beim zweiten Telefonklingeln sprang Sonja schon nicht mehr auf. Allerdings war der Anruf offenbar weniger erfreulich als der erste. Sie hörte, wie Gentilini aufbrauste. Dann langes Schweigen, schließlich ein resigniertes »va bene, ciao.«
    »Meine Exfrau«, sagte er nur, als er zurückkam. Er leerte sein Weinglas in einem Zug. Dann zuckte er die Schultern.
    Es fing erneut zu regnen an, erst

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