Die Toten von Santa Lucia
Wohnungsbesitzer erreicht habe«, wiederholte er geduldig. »Der klang zwar nicht mausetot, aber ziemlich durch den Wind.«
»Und was hat er zu seiner Entschuldigung vorgebracht?«
»Die Krankenhausnummer. Dass seine Mutter mit einem Oberschenkelhalsbruch im Poliklinikum liegt und er die ganze Nacht dort verbracht hat …«
»Glaubst du das etwa nicht?«
»Keine Ahnung«, brummte Gentilini. »Kann stimmen oder auch nicht. Wenn du mich erreichen willst, jetzt gleich muss ich in eine Besprechung, danach fahre ich ins Untersuchungsgefängnis, vielleicht will Abruzzese heute nicht schweigen, sondern zur Abwechslung ein bisschen singen. Du weißt ja, dass ich das mag. Und um zwölf ist die neue Verabredung mit dem Wohnungsbesitzer. Im Gambrinus. Kommst du auch? Du weißt, wo das ist? Und vorher stattest du sicherlich der Schreckschraube einen Besuch ab, oder?«
In Gedanken war Sonja schon längst auf dem Weg.
30
Natürlich wollte Signora Russo Geld, und zwar nicht zu knapp. Schuld daran war auch der Commissario, weil er ihr so leichtfertig wie schadenfroh Sonjas Umzug in eines der teuersten Hotels der Stadt angekündigt hatte. Sonja wiederum trug durch ihr unverhohlenes Interesse und ihre deutlich spürbare Ungeduld dazu bei, die von der Signora verlangte Summe nach oben zu treiben. Sonja hätte Gentilini zu Hilfe rufen können, aber das wäre ihr peinlich gewesen und ihr denunziatorisch erschienen, einfach unter ihrer Würde. Sie konnte ihre Angelegenheiten allein regeln.
Klar, Signora Russo war ebenso geldgierig wie ausgefuchst. Nicht umsonst lebte sie seit über sechzig Jahren in dieser Stadt und hatte vom ersten Atemzug an gelernt, den eigenen Vorteil aufzuspüren und beim Schopfe zu packen – ein Talent, das hier seit Jahrhunderten von einer Generation an die nächste vererbt wurde.
Die deutsche Signora hingegen gehörte zu der Sorte Mensch, die das nicht konnte oder nicht wollte und daher immer im Nachteil sein würde. Sonja hatte sich dadurch verraten, dass sie die zehn Euro, die der Commissario zuvor heruntergehandelt hatte, hinterher wieder auf den Tisch legte. Und wie widerspruchslos sie sich mit dem schäbigsten aller Zimmer abgefunden hatte … Signora Russo war sich sicher, dass Sonja auch den verlangten Preis für die Information zahlen würde – und zwar, ohne dass der Commissario davon erfuhr.
Sie stand Sonja im Telefonzimmer gegenüber, heute wieder in Tigerpantoffeln und einem knallroten Trägerkleid mit Spitzenbesatz rund um den tiefen Ausschnitt. Sonja durchschaute sofort, was die Signora über sie dachte – aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte nichts weiter als diese ominöse Nachricht, die Luzie betreffen musste, und sie hätte jeden Preis dafür gezahlt.
Die Scheine wechselten die Besitzerin – etwas mehr als die Summe, die Sonja hätte zahlen müssen, wenn sie, wie ursprünglich geplant, eine ganze Woche in der Pension geblieben wäre. Feierlich reichte Signora Russo ihr einen zerknitterten Zettel, als handle es sich um die Wegbeschreibung zum Schrein der Weisen. Darauf stand in krickligen Lettern: Claudia und Scuola di Lingua und eine Telefonnummer. Mit großzügiger Geste wies die Pensionswirtin auf ihr altmodisches schwarzes Telefon. »Bitte, rufen Sie gern von hier aus an.«
Sonja lehnte dankend ab. »Das wäre das teuerste Telefongespräch meines Lebens.«
»Alles hat seinen Preis.«, entgegnete die Signora mit diebischem Lächeln.
»Nein. Manche Dinge sind unbezahlbar. Und andere nicht käuflich. Außerdem«, fügte Sonja unwirsch hinzu, »habe ich jetzt ein Handy.«
Sie hatte draußen telefonieren wollen, auf dem Platz vor der Kirche, aber da veranstalteten Jugendliche gerade ein Wettrennen mit ferngesteuerten Spielzeugautos. Lärmend und im Slalom sausten sie um entsprechend platzierte Coladosen, die alle naslang scheppernd umfielen. Sonja hastete weiter, bis sie eine vergleichsweise ruhige Ecke zum Telefonieren erwischte. Sie hoffte inständig, dass am anderen Ende jemand abnahm, egal wer, Hauptsache, sie musste nicht den ganzen Tag immer wieder vergeblich diese Nummer wählen.
Nach dem ungefähr zwanzigsten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme. Sonja sagte, eine gewisse Claudia habe die Nummer für sie hinterlassen. Ob sie mit ihr sprechen könne.
»Chi parla?«
»Sono Sonja, una tedesca … «
»Un attimo …«
Sonjas Hand krampfte sich um das Handy, während sie darauf wartete, dass diese unbekannte Claudia ans Telefon geholt
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