Die Totenfalle
einen Brief hervor und reichte ihn mir. Suko rückte näher an mich heran, damit er mir über die Schulter schauen konnte.
Ich las das Schreiben halblaut vor. »Lieber Freund! Es ist wichtig, daß ich mich nun endgültig verabschiede, deshalb möchte ich Sie bitten, zu meinem Grab zu kommen und Kerzen mitzubringen. Die Trauerfeier soll ein unvergeßliches Ereignis sein. Ich hoffe, ich kann auf Sie zählen.« Es waren noch der Ort, die Uhrzeit und das Datum hinzugefügt worden.
»Das ist es gewesen«, sagte Yvonne.
Ich gab ihr den Brief zurück. »Können Sie ungefähr sagen, wie viele Personen wohl kommen werden?«
»Nein, aber ich rechne mit fast allen.«
»Warum?«
Sie hob die Schultern. »Das Verhältnis zwischen Tabitha und ihren Patienten war ein besonderes. Die Menschen haben in ihr mehr gesehen als nur die Ärztin oder Geistheilerin. Für sie war Tabitha eine Freundin, die es gut mit ihr meinte, und das hat sie ja durch zahlreiche Heilungen bewiesen. Sie können das in der Presse nachlesen.«
»Ja, das glaube ich schon. Ich frage mich allerdings nur, was sie mit dieser Abschlußfeier bezweckt.«
Yvonne nagte an ihrer Unterlippe. Unser Dialog geriet ins Stocken, denn auch sie wußte keine Antwort.
Suko meinte: »Eine rein persönliche Sache, denke ich.«
»Auf einem Friedhof?« Die Frage hatte Glenda gestellt. »Nein, zu ungewöhnlich.«
»Finde ich auch«, bestätigte ich.
Suko blieb am Ball. Er wollte von Yvonne Terry wissen, ob Tabitha eine gewisse Beziehung zu dem Friedhof gehabt haben könnte. Oder einfach nur zu Friedhöfen.
Die junge Frau überlegte eine Weile. Dabei strich sie geistesabwesend über ihre Abdrücke am Hals. »Eigentlich nicht«, murmelte sie. »Es ging ihr mehr um die Geisterwelt, und Tabitha war davon überzeugt, daß sie dort einige Freunde besaß.«
»Das wunderte uns. Sah sie die Geisterwelt nur als gut an?« wollte ich wissen.
»Das ist die Frage. Jedenfalls habe ich nicht bemerkt, daß sie sich davor gefürchtet hätte.«
»Wie kam der Kontakt zustande?«
Beinahe wehmütig schaute mich Yvonne an. »Das dürfen Sie mich nicht fragen, Mr. Sinclair. Auch Tabitha hatte ihre Geheimnisse, so gut wie wir uns auch verstünden haben.« Sie atmete tief ein. »Es gab Dinge, die blieben auch für mich hintereinem Schleier verborgen. Ich habe auch nicht gefragt, denn ich spürte, daß sie nicht bereit war, den Schleier zu lüften.«
»Das Rätsel der ungewöhnlichen Einladung blieb trotzdem bestehen«, faßte Glenda zusammen. »Darauf sollten wir uns einrichten, finde ich.«
Sie blickte uns der Reihe nach an, bevor sie uns eine weitere Frage stellte. »Hat sich einer von euch eigentlich schon Gedanken darüber gemacht, daß es eine Falle sein könnte?«
»Eine Falle?« wiederholte Suko.
»Genau, ja, eine Falle.«
Yvonne tat nichts, ich räusperte mich und hielt mich mit einer Antwort ebenfalls zurück, während Glenda ihren Part genoß und dabei in die Runde lächelte.
»Für alle Menschen?« fragte Yvonne.
»Genau.«
»Um sie möglicherweise in den Tod zu schicken?« Ihre Worte tropften schwer in die Stille hinein, und selbst ich bekam einen leichten Schauder, als ich mir das vorstellte. Ich wußte nicht, wie viele Menschen der Aufforderung folgen würden, allerdings wäre schon ein Toter zuviel gewesen.
»Was hast du?« fragte Suko, der gesehen hatte, wie blaß ich geworden war.
»Ich dachte bereits näher darüber nach.«
»Über die Falle, die mit dem Tod enden kann?«
»Ja.«
»Warum sollte sie so etwas tun?« rief Yvonne. »Himmel, sie ist eine gute Frau gewesen, sie hat den Menschen wirklich geholfen. Die waren immer gut zu ihr, und sie war gut zu ihnen. Die Patienten haben sich unter ihren Schutz wohl gefühlt. Es gab keine Differenzen, sie hat so vielen geholfen, und nicht wenige von ihnen blieben noch später im Kontakt mit ihr. Die Verbindungen sind nie abgebrochen, nein, warum sollte sie das tun?«
»Da gäbe es mehrere Theorien«, meinte Suko.
»Welche denn, Inspektor?«
Suko lächelte. »Das will ich Ihnen sagen, Yvonne. Möglicherweise hat sie etwas abzuarbeiten gehabt. Es gibt im Leben kaum etwas ohne Gegenleistung. Auch auf der anderen Seite ebenso nicht. Du kriegst etwas zurück, wenn du mir was gibst. So einfach ist die Rechnung.«
»Und was hätte sie zu bezahlen gehabt?«
»Menschen.«
»Bitte?« Yvonne erschrak zutiefst. »Sie sprechen davon, daß sie Menschen in den Tod schicken will.«
Suko nickte. »Ja, sie könnte eine Totenfalle
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