Die Totenfalle
denn beinahe wäre ich in den Bann dieser ungewöhnlichen Erscheinung geraten.«
Yvonne Terry faßte unwillkürlich dorthin, wo sich die Druckstellen rot an ihrem Hals abzeichneten. Auch sie erinnerte sich, dann aber gab sie sich einen Ruck und nickte Glenda zu. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir gemeinsam in das Schlafzimmer gehen?«
»Nein. Allein deshalb nicht, weil Sie ja ein besonderes Verhältnis zu Ihrer Chefin hatten.«
Yvonne mußte lachen. »Verhältnis ist gut. Okay, ich war ihre Vertraute, aber…«
»Lassen Sie uns gehen.«
»Wie Sie meinen.«
Diesmal ließ Glenda Yvonne vorgehen, die sich zusammenreißen mußte. Im Flur waren die beiden Frauen wieder nebeneinander und schraken zusammen, als sie plötzlich ein Platzen und Splittern hörten, das an ihre Ohren drang.
Noch vor der Schlafzimmertür blieben sie stehen. »Das war der Spiegel«, wisperte Glenda.
»Mein Gott, ich habe Angst.« Yvonne umklammerte den Arm der neuen Freundin.
»Warten Sie, ich werde nachschauen.«
»Ja, aber…«
Glenda war schon vorgegangen. Sie ging noch einen Schritt – und stand auf der Schwelle des Schlafzimmers.
Das Entsetzen ließ sie vereisen. Was sie da zu sehen bekam, war nicht nur unerklärlich, es war auch ungeheuerlich.
Den Spiegel gab es nicht mehr, er lag auf dem Boden. Nur mehr der Rahmen hing an der Wand. Und selbst im Wirrwarr der zahlreichen Scherben spiegelte sich das wieder, was aus dem Rahmen hervorkroch. Ein dicker, feuchter Nebel, als wäre die Wand nicht mehr vorhanden, um dem Wetter draußen freie Bahn zu geben.
Nur war das nicht alles.
Innerhalb der kalten Wolken drehten sich die Schlieren und Bahnen zusammen, daß sie Figuren und Gesichter bildeten, die wie Geister in der grauen Brühe schwammen.
Auch Yvonne Terry hatte das Ziel erreicht. Sie stand dicht hinter Glenda, als sie flüsterte: »Das sind… du lieber Himmel, das sind die Totengeister!«
***
Ob sie damit recht hatte, wußte Glenda Perkins nicht. Zumindest war es sehr ungewöhnlich, was sie hier sahen, und auch irgendwo nicht erklärbar für sie. Die Geister der Toten…
Sahen sie tatsächlich so aus? Glenda kriegte eine Gänsehaut als sie darüber nachdachte. Sie spürte auch, daß ihre Hände feucht geworden waren, und sie wünschte sich plötzlich, daß John Sinclair in der Nähe gewesen wäre, denn er hätte dieses Phänomen sicherlich ergründen können. Sie aber stand da und wußte nicht, was sie mit dieser unheimlichen Erscheinung anfangen sollte.
Yvonne war nicht mehr in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Sie schwieg, und sie atmete nur heftig. Unverwandt besah sie sich den Rahmen und die geisterhaft bleiche Masse des Nebels. Dabei wunderte sie sich auch, wie schnell der erste Schock vorbei war und sie wieder normal denken konnte. Jetzt konzentrierte sie sich auf den Nebel, und sie glaubte auch, etwas zu erkennen. Da war im Prinzip nichts Fremdes mehr. Man mußte nur genau hinschauen, um es sehen zu können, und man mußte seine Erfahrungen haben, die ihr schließlich nicht fremd waren. Dieser Nebel hatte einen Mittelpunkt, um den sich alles drehte. Das Zentrum war nicht leicht erkennbar, man mußte schon eine Fachfrau sein, aber das war sie ja.
Sie sah eine Gestalt.
Obwohl Geistwesen kein Geschlecht aufwiesen, war es bei dieser Entdeckung anders. Für Yvonne war diese Gestalt eine Frau, und zwar eine, die sie kannte.
Tabitha Leroi!
Diesmal als Geist, nicht mehr als Mensch, einfach schrecklich und gestaltlos.
Sie stand und bewegte sich trotzdem. Alles an ihr steckte voller Unruhe. Sie geisterte auf dem Fleck, um sie herum verschwamm alles in einergrauen Brühe, nur sie war besser zu sehen und auch ihr Gesicht, das Yvonne nicht losließ. Sie mußte einfach zu ihr und setzte sich mit zitternden Schritten in Bewegung. Der Blick war starr nach vorn gerichtet. Sie wollte Tabitha lächelnd begrüßen, und auch Glenda Perkins griff nicht ein, um Yvonne aufzuhalten. Instinktiv wußte sie, daß sie abwarten mußte, denn sie konnte sich vorstellen, daß dieser unheimliche Totengeist eine Botschaft mitbrachte. Yvonne hatte den Nebelfleck erreicht. Sie blieb stehen. Ihr Rücken zuckte, als sie die Arme anhob und auch die Hände ausstreckte, um nach Tabitha zu fassen.
Die Fingerspitzen glitten an die Außenhaut des Nebels heran – und sie zuckten zurück, als sie die eisige Kälte spürten, die über die Kuppen hinwegglitt.
Hier trafen zwei Welten aufeinander. Die reale, sichtbare und die normalerweise
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