Die Totenfrau des Herzogs
Gott war launisch und ließ sich nicht mit Gebeten kaufen. Es gab nur den Willen, den man aufzubringen vermochte. War der Wille stark genug, überlebte man. So war es in ihrem Leben gewesen, seit sie denken konnte. Die Erkenntnis schenkte ihr neue Kraft.
Herausfordernd neigte sie den Kopf. »Woher Ihr das Zeug nehmt, überlasse ich Eurer Einfallslust. Ohne Wachs und Honig kann ich Euren leidenden Kriegern keine Salben auftragen, wie es mit Eurem Herrn abgemacht ist. Der Tod wird sie quälen. Das wird dann Eure Schuld sein.« Damit setzte sie sich auf einen Stein und legte ihr mit Kräutern gefülltes Bündel auf den Schoß. Ihre starken Worte warf die Nacht zurück, und sie trafen den Mann.
»Das ist nicht wahr!« Hákons Hand fingerte an seiner Waffe herum. Er hatte sich aufgebläht und ärgerte sich offenbar, dass er ihr mit Drohungen nicht beikam. Da man auch nicht wusste, was Örn an dieser Frau für einen Narren gefressen hatte, rührte man sie besser nicht an, mochten wohl seine Gedanken sein. Dass sie ihn als Weib interessierte, entging Ima jedenfalls nicht, und nur die Loyalität zu seinem Anführer schien ihn davon abzuhalten, über sie herzufallen und sie gefügig zu machen.
Ima war so müde. Sie versenkte sich in die Betrachtung ihres Beutels, zog einen zweiten, diesmal imaginären Schutzkreis um sich herum und versuchte, konzentriert nachzudenken. Der Waräger würde zuschlagen oder nicht. Wenn sie es schaffte, ihre hochmütige Fassade aufrechtzuerhalten, wagte er es vielleicht nicht. Sie durfte sich nicht
an zu vielen Fronten aufreiben, sie wusste ja nicht, was noch alles vor ihr lag …
»Cistrose«, flüsterte sie, »zwei Unzen zerbröseln, mit zerstoßener Myrte in Honigwasser verrühren.« Das Repetieren der Rezepte verschaffte ihr auf einmal die Ruhe, die sie am nächtlichen Seeufer vergebens gesucht hatte. Vielleicht, weil es nun kein Ausweichen mehr gab. »Eine Unze Weihrauch hinzufügen. Für einen Umschlag auf eiternde Wunden Iris, in Gänseschmalz verrührt …«
»Komm mit mir«, herrschte Hákon sie da von der Seite an, er war wohl fertig mit Nachdenken. Sein Zorn umzingelte sie, und noch wütender machte ihn offenbar, dass er ihm nicht freien Lauf lassen konnte. Und so stieß er sie nur unnötig brutal vorwärts, auf eins der Häuser zu, aus welchem es durchdringend nach alten Essensresten roch. Die Pechfackel in der Halterung beleuchtete eine moosbewachsene Hauswand, vor der Schnüre mit getrocknetem Brot im Frühmorgenwind baumelten. Ein Köter lag vor dem Haus an der Kette. Er kläffte die Ankömmlinge wütend an.
»He!«, brüllte jemand, aufgebracht über den Lärm, immerhin graute noch nicht einmal der Morgen. Hákon trat nach dem Hund. Der zog den Schwanz ein und kroch winselnd unter die windschiefe Bank, die offenbar sein Zuhause darstellte.
»Unser Koch hat Angst, beklaut zu werden«, knurrte Hákon, »dabei lohnt sich das gar nicht bei dem Fraß, den er serviert. Wenn er welchen serviert - wenn er nicht besoffen in der Ecke liegt, weil sein Bier zu lange …«
»Euch ist hoffentlich klar, dass die Kranken gutes Essen brauchen?«, unterbrach Ima den Hauptmann unwirsch. »Der Koch muss geweckt werden und helles Brot für die Kranken backen.«
»Helles Brot? Mach dich nicht lächerlich!« Damit bollerte Hákon gegen die Hüttenwand. »Helles Brot backt er
ausschließlich für Örns Tafel.« Er drehte sich zu ihr um. Dämonen flitzten über sein hageres Gesicht und durch die tiefen Falten und huschten weiter, wenn der Fackelschein sich dem Wind ergab. »Du bist ein Weib und wirst wohl wissen, wie viel Arbeit es bedeutet, helles Mehl vom Weizen zu mahlen.« Dann lachte er spöttisch. »Nein, weißt du nicht. Du bist ja eine feine Dame und hast sicher niemals einen Mühlstein angefasst …«
»Verlasst Euch drauf, ich weiß, wie sich ein Mühlstein anfühlt«, fuhr Ima ihn an. »Wenn Ihr mir keinen Glauben schenkt, dann lasst Euch sagen, dass die Mönche im Kloster von Montecassino ihren Kranken ausschließlich weißes Brot und Fleisch servieren …«
»Wir sind hier aber kein Kloster!« Nun packte er sie am Arm und schüttelte sie. »Es wird Zeit, dass du erwachst …«
»Lasst Euch sagen, dass die Krankheit im schwarzen Brot sitzt.« Imas Unruhe stieg.
»Du bist eine verdammte Rechthaberin, so etwas gehört sich nicht für ein Weib!«, blaffte er. »Und, beim Thor, es gibt hier kein helles Brot!«
»Wer will weißes Brot?« Die Tür öffnete sich knarzend. Eine Wolke von
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