Die Totenfrau des Herzogs
habt.«
Und dann kniete er vor ihr nieder und suchte ihren Blick.
»Mein Körper ist verstummt. Sagt mir, dass nicht Ihr es wart. Sagt mir, dass es nur diese Nacht währt, dass es morgen vorbei ist. Sagt mir, dass ich morgen wieder ein Mann bin …«
Sie beugte sich vor, bis ihre Brust die Unterarme berührte und sie seinem Gesicht ganz nahe war. »Kein Mensch kann Euch nehmen, was Euch vorherbestimmt ist, Örn Nábitr.«
Sie spürte, wie er bei diesen Worten die Luft anhielt, wie er es letzte Nacht getan hatte, als der Stechapfel ihn überwältigt hatte. Die Scham, von ihm zuvor geküsst und berührt worden zu sein, war ihr geblieben, und auch das Gefühl von beschämender Ohnmacht darüber, dass er es beinah geschafft hatte, sie zu nehmen. Schließlich war auch Zorn geblieben darüber, auf welch unwürdige Weise sie sich ihm hatte entziehen müssen.
»Ihr könnt es, Ima. Ihr seid eine völva - Ihr könnt es auch zurücknehmen.«
»Geht«, unterbrach sie ihn barsch. »Lasst mich meine Arbeit machen.«
»Nehmt es zurück, Ima.« Er streckte die Hände aus und fasste sie bei den Unterarmen. »Ihr könnt mich nicht so verstümmeln, Ihr könnt das nicht so gemeint haben, Ima!«
»Ich habe Euch nicht verstümmelt …«
»Und wie nennt Ihr das, wenn ein Mann keiner Frau mehr beiwohnen kann?« Der Waräger war außer sich und hatte große Mühe, dabei leise zu sein, damit nicht das
ganze Lager Anteil an seiner neu erworbenen Schmach haben konnte. Ima gestattete sich nicht mehr als ein feines Zucken des Mundwinkels, da sprach er schon weiter. »Wie zum Henker nennt Ihr als Heilkundige es denn dann, wenn er verdorrt und keiner Frau mehr seinen Samen schenken kann? Wie …«
»Ihr verkennt die Frauen«, entgegnete sie hochmütig, »Nicht jede möchte Euren Samen spazieren tragen.«
Fassungslos starrte er sie an. »Dafür geht Ihr in Eure verdammte Hölle, Ima von Lindisfarne«, murmelte er.
Sie beugte sich noch ein Stück weiter vor, dass ihr Mund fast sein Gesicht berührte und sie seinen gewaschenen Körper wahrnahm. »In der Hölle war ich schon, Örn Nábitr. Es ist nicht anders als hier.« Damit bückte sie sich und ordnete ihre Tiegel, ohne noch einmal aufzuschauen. »Wenn Ihr mich nun endlich meine Arbeit machen lassen würdet …« Ihr Herz schlug wie wild, sie ahnte, dass sie damit endgültig verspielt haben könnte. Alles wäre umsonst gewesen, für ihre Dreistigkeit würde sie nun bezahlen müssen. Doch Örn schwieg. Er fluchte nicht, und er schlug sie auch nicht.
Als die Sonne aufging, saß er immer noch bei ihr am Feuer, mit finsterem Gesicht, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Ein klein wenig war sie froh darüber, weil er ihr dadurch die anderen Kerle vom Hals hielt. Wie viele den nächtlichen Streit mitbekommen hatten, wurde bei Tagesanbruch offenbar: Ein halbes Dutzend Waffen glänzte im Morgensonnenlicht. In byzantinischen Lagern ging man bewaffnet schlafen. Vom See kam frischer Wind heraufgeweht, brachte Geruch von brackigem Wasser und Algen. Ima gähnte verstohlen. Das Iriswachs war fertig gekocht und mit Bärlapp verbessert, und auch die Myrtensalbe zog sämig vom Holzstab. Am längsten hatte sie für das Oleum rosacaeum gebraucht, weil Zutaten fehlten und sie
immer wieder hatte nachdenken müssen, was sie wie ersetzen und verändern konnte. Aber nun war es vollbracht. Es widerstrebte ihr zutiefst, mit all ihren Tiegeln in das Haus der Kranken zu müssen …
»Lasst die Brandigen nach draußen tragen. Hier ans Feuer. Alle nebeneinander.«
Örn fuhr hoch, offenbar vollkommen überrascht. Doch statt nachzufragen, erfüllte er einfach ihren Wunsch, denn das Stöhnen aus dem Haus war inzwischen nicht mehr zu überhören. Die Männer, die die Kranken tragen mussten, murrten dafür umso mehr, und auch den Leidenden entfuhren Flüche, die Ima das Blut in die Wangen trieben.
»Versichert mir meine Unversehrtheit«, zischte sie dem Kommandanten zu. »Eure Hand darauf. Niemand rührt mich an.« Und sie hielt ihm ihre Hand mit den sechs Fingern hin.
»Ima Heillahandi, auch wenn Ihr bestreitet, eine völva zu sein, so habt Ihr doch die Macht einer völva «, flüsterte der Waräger heiser. »Ich … fürchte Euch. Welche Götter auch immer Euch gehorchen mögen. Niemand rühre Euch an, dafür sorge ich.« Er verstummte, ohne ihre Hand zu ergreifen, doch er zog das Rehfell enger um seine mächtigen Schultern, und das sicher nicht, weil ihn darunter fröstelte. Als sie begann, die brandigen Männer
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