Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
Vom Netzwerk:
mit Salben zu versorgen und die Wunden auszuwaschen, die das Antoniusfeuer bis auf die Knochen hatte schwelen lassen, blieb er neben ihr und achtete tatsächlich darauf, dass keiner der Kranken, denen sie mit Spatel und Fingern Schmerzen zufügen musste, ihr zu nahe kam.
    Und waren es nun die Salben, in die sie viel Heil eingerührt hatte, oder war es die Kraft, die in ihrem sechsten Finger wohnte - Ima spürte ein beinah unerträgliches Kribbeln in den Händen, solange sie an den Wunden hantierte. Es verging erst, wenn sie die Salbe auf der Haut verteilt
hatte und Leintücher um besonders schwere Wunden wickelte. Dann glätteten sich die Züge der Kranken, manche fielen in tiefen Schlummer. Der Schmerz schien zu vergehen. Einer bedankte sich leise. Ein anderer starb, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sanft drückte sie seine Augen zu. Worte wollten keine kommen. Es war leichter weiterzumachen, obwohl ihr der Rücken vom Herunterbeugen fast brach. Weitermachen und nicht an das denken, was vor ihnen lag, an den Gefangenen, an seine Qualen, oder daran, ob ihre Pläne wohl aufgehen würden. Ihre Hände zitterten und schmerzten, heimlich barg sie sie zwischendurch an der Brust wie zwei junge Vögel, denen das Fliegen zu schwer wurde.
    Auf seinen Wink hin brachte ihr am späten Vormittag sogar jemand Wasser, und sie trank durstig. Das Brotstück lehnte sie ab und gab es einem der Leidenden, der es hungrig verschlang.
    »Ihr seid mutig, das zu verschenken, was ich Euch geben lasse«, bemerkte der Lagerkommandant und setzte sich bequemer hin. Ihm hatte der Koch Mus gebracht, doch es war neben dem Feuer kalt geworden.
    Ima drehte sich zu ihm um. »Findet Ihr? Sie brauchen gutes Essen, Örn. Habt Ihr das für Eure Männer? Gutes Essen, von Eurer Tafel - und keine Abfälle.« Herausfordernd sah sie ihn an. »So schrieben es bereits Dioskurides und auch Galen, und so werden Kranke seit alters her behandelt: mit gutem Essen, Sauberkeit und Ruhe.«
    »Die Herren sollen sich gern bei mir melden«, lachte er los und prostete ihr zu. »Ich schicke sie ins Küchenhaus zu meinem Koch …«
    »Wie geht es eigentlich meinem Knecht?«, entgegnete sie wütend.
    Des Warägers Augen wurden schmal. »Euer Knecht. Nun - da Ihr so um sein Wohlergehen besorgt seid, Ima, haben
wir ihn aus dem kühlen Kerker geholt und an den Felsen gesetzt. Ich war mir sicher, dass Euch die Arbeit leichter von der Hand geht, wenn Ihr ihn sehen könnt. Wenn Ihr in Eurer heiligen Versunkenheit denn einmal hingeschaut hättet. Er ist die ganze Zeit hier bei uns gewesen.« Er lachte spöttisch. »Denn seht Ihr - der Brand verzehrt meine Männer von innen - den Eurigen verzehrt er von außen. So ist es wieder gerecht, niemand darf sich beschweren, und alle sehen zu, dass sie die missliche Lage so rasch wie möglich beenden.«
    Sie starrte ihn an. Müdigkeit, Schmerz und Schuldgefühle fielen von ihr ab. Das also war seine Rache. Der Waräger ließ sich nicht nehmen, sie so hinterlistig zu strafen, wie sie ihn gestraft hatte. Das hatte sie nicht erwartet, und sie begann, sich vor ihm auf eine beunruhigende Weise zu fürchten. Er war eine Natter, deren Biss nicht gleich tötete …
    Die Umstehenden belustigten sich über sie, als sie seinem übertrieben einladenden Arm folgte und an der Phalanx der Männer vorbei den Bohlenweg zum Felsen betrat. Ihr langer Rock zog Unrat hinter ihr her, ein Hündchen floh vor ihren Schritten. Die Sonne stand steil und hauchte heißen Atem auf ihren Scheitel. Ima wünschte sich ihren Schleier herbei, den sie irgendwo verloren hatte. Er hätte ihrer Würde gut gestanden und sie vor dem Schmutz bewahren können, dem sie hier ausgeliefert war. So wischte sie sich nur den Schweiß von der Stirn und strich das geflochtene Haar glatt, als könnte das zumindest helfen, aufrechter zu gehen.
    »Grüßt ihn doch wohlwollend von mir«, lachte Örn hinter ihr her.
    Seine Rache für die Angst, die sie ihm offenbar einflößte, war grausam. Man hatte den Gefangenen seiner Kleider beraubt und ihn nackt, wie er war, an zwei verrostete Ringe gekettet, die offenbar seit langer Zeit in der
Felswand verankert waren. Immerhin war er unversehrt, man hatte ihn weder geschlagen noch verletzt. Das war auch nicht notwendig, die Sonne nämlich vergnügte sich mit seiner feinen Haut. Ungeniert malte sie rote Kringel auf die vom Kampf geformten Muskelstränge. Jeder Mann mit Augen im Kopf konnte an diesem Körper unschwer erkennen, dass hier kein Knecht lag.

Weitere Kostenlose Bücher