Die Totenfrau des Herzogs
den Fraß nicht aufhalten, aber die Pein vielleicht lindern. Ob das dem Waräger reichen würde? Ob das den Weg in die Freiheit ebnen konnte? Und dann …?
Das Wasser wusste auch keine Antwort. Es trug sie bloß, und ein bisschen zupfte es auch an ihr, sich ganz hinzugeben
und loszulassen, weil dann alles leicht werden würde. Loslassen, sich treiben lassen … Ima breitete die Arme aus, spürte schon nichts mehr von der Kälte des Wassers, das sie umfasst hielt wie ein tröstender Freund.
Als sich am Ufer etwas bewegte, schob der Mond die kleine Wolke beiseite, die ihm die Sicht verstellen wollte. Der Waräger war aufgestanden und schlich auf das Ufer zu. Die Frau steckte schon so lange in diesem Wasser, er schien sich Sorgen zu machen. Oder war es Misstrauen, was ihn vorwärtstrieb? Hatte er vielleicht ihre Schlauheit unterschätzt? Oder trieb ihn die Gier? Ihr blondes Haar schwamm wie ein verzauberter Teppich aus Goldfäden im Wasser und neckte das Licht …
Die Nachtigall erwachte, als hätte sie die Gefahr gespürt. Mit warnendem Unterton rollte ihr Lied von den Bäumen herab. Als der Mann mit den Füßen im Wasser stand, jagte sie die Töne alarmiert in die Höhe, doch es war ja nur ein Lied von tropfender Schönheit, und wer die Gefahr darin nicht hören wollte, der ließ sich von der Schönheit einlullen. Das Wasser schluckte die Schritte. Von bewegender Klarheit flog das Lied durch die Nacht.
Es platschte, zwei Klauen umfassten Imas Schultern, gleich darauf wurde sie aus dem Wasser gehoben. Ihre Schulterknochen knackten unter dem harten Griff, reflexartig schlug sie um sich, doch statt dem Griff zu entkommen, landeten ihre Arme nur in einer noch härteren Klammer.
»Ihr wolltet Euch das Leben nehmen.« Die Stimme des Warägers klang heiser. »Scheißbock, verfluchter! In meinem Dorf nimmt sich niemand das Leben. Entweder man stirbt ehrlich - im Kampf -, oder man lebt weiter. Das gilt auch für Euch vornehme Dame!« Die kühlen Worte wollten nicht so recht zu der Erregung passen, mit der sie hervorgepresst wurden.
Ima öffnete die Augen. »Ich wollte nicht …« Sie zappelte verzweifelt.
»Ihr suchtet den Tod im Wasser. Das erlaube ich nicht.« Er trug sie ohne Umstände an Land und setzte sie neben dem magischen Kreis wieder ab. »Verflucht! Das erlaube ich nicht …« Seine Stimme verklang. Nur der Wind strich zwischen ihnen hindurch und wunderte sich, wie ein Griff aus Eisen mit einem Mal zu Honig zerfließen konnte. Honig, der von den Fingern tropfte und schmeichelnd über ihre nasse Haut rann. Giftiger Honig, weil dieselben Finger sie jederzeit töten konnten, so wie sie an ihrem Genick vorbei und über ihren Hals wanderten, bebend zwar, doch zielstrebig, und Ima wusste nicht, ob sie sich mehr vor dem Honig auf ihrer Haut oder vor den Fingern fürchten sollte …
Örn Nábitr war geübt darin, Honig über einem Frauenleib auszugießen. Seine Finger, die mit der Axt im Kampf zu einer furchtbaren Einheit verschmolzen, strichen den Honig in jede Pore ihrer Haut und schlossen Imas protestierenden Mund mit solch unerwarteter Zartheit, dass sie erstarrte. Furcht vor den Fingern hinderte sie am Atmen. Er würde jeden Laut von ihr sofort ersticken, und sie spürte seine Bereitschaft, sie zu nehmen oder zu töten, wenn er sie nicht bekam. Ihre Haut verriet die Angst, sie bebte, zitterte, und er griff daraufhin beherzter zu, fasste sie überall an, küsste dennoch sanft wie eine Feder die Haut, wie um ihr Vertrauen buhlend. Er sank vor ihr auf die Knie, eine Hand immer noch an ihrer Kehle, zärtlich zwar, aber auch auf Gegenwehr lauernd. Sein Mund wanderte über ihren Leib, seine Zunge spielte mit den Wellen, die sie erschütterten und vor denen sie erschrak, weil sie Antwort genug waren.
Mit sanftem Nachdruck versuchte er schließlich, sie zu sich herabzuziehen und zu bekommen, wonach er schon seit dem Vormittag gierte wie ein liebestoller Hund.
Ima wusste, wann sie verloren hatte. Dies war ein unfairer Kampf, mit unfairen Waffen, und sie würde mit ihrem Leben bezahlen, wenn sie jetzt einen Fehler beging. Mit letzter Kraft zog sie ihre unfaire Waffe: Sie entzog sich ihm und kroch rückwärts, auf den Zauberkreis zu. Der Kreis würde sie beschützen und ihr hoffentlich seine Hilfe gewähren … Ihr Plan ging auf. Statt zu fluchen, kroch Örn ihr hinterher - wohin er kroch, merkte er nicht, und auch nicht, dass er sich in ihre Gewalt begab. Der Kreis löste sein Versprechen ein: Kraft floss durch
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