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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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hatte. In aller Ruhe brachen die Priester ihren Altar ab und verstauten das heilige Geschirr in den Truhen. Man hatte ja für gutes Reisewetter gebetet. Und Eile war für den Herzog auch nicht geboten - nicht mehr. Seine letzte Reise sollte er in Ruhe und Würde antreten. Die Zeiten von nächtlichen Wanderungen an der Nase des Feindes vorbei, von kühnen Reisen und von hastigen Aufbrüchen im Morgengrauen waren vorüber.
    »Die Wolken werden sich verziehen, ma dame .« Marc de Neuville nahm neben ihr auf dem Schemel Platz. »Und schon übermorgen werdet Ihr zuhause sein und Euch ausruhen können.« Anteilnehmend tätschelte er ihren Arm.
    »Ist es wahr, dass Ihr auf Pilgerreise geht?« Die Frage hatte ihr während der ganzen Messe auf der Zunge gebrannt. Der alte Krieger senkte den Kopf und nickte. Ein einzelner Regentropfen war in seinem Haar hängen geblieben und zerstob, als er herabfiel, in unzählige Tröpfchen, die wie funkelnde Perlchen im Wind wackelten, als er den Kopf hob.
    »Es ist das Einzige, was mir zu tun bleibt, Ima. Mein Sohn ist tot, und ich bete für seine Seele. Warum sonst pilgert man ans Grab des Herrn?«
    Sie nickte schweigend. Ja, warum sonst. Allerdings war sein Sohn als Mörder gestorben. Konnte ein Vater das sühnen? Sie sah, dass er sich dieselbe Frage stellte und daran schier verzweifelte. Es war daher wohl besser, nicht weiter daran zu rühren. Eine Pilgerin kam ihr in den Sinn, die vor vielen Monaten auf der nasskalten Insel Lindisfarne hoch im Norden losgewandert war, um für die Toten der Familie zu beten. Ima hatte das Grab des Apostels in Santiago
de Compostela niemals erreicht, dafür ein anderes Ziel gefunden: Trotas Haus und ein neues Leben in der Heilkunst. Doch Marc konnte das keinen Trost geben.
    »Vielleicht …«, hob er an, verstummte dann und seufzte tief. »Vielleicht bete ich auch für meine Seele, die diese Schmach und Scham nicht erträgt …«
    So war es wohl. Eigentlich betete man doch immer für die eigene Seele. Auch wenn das ein ketzerischer Gedanke war. Er nickte wie zur Bestätigung.
    »Ihr habt recht, Ima. Es gibt keine ausreichende Sühne für diese Tat, außer den Tod.«
    »Den Tod wird Gott nicht fordern.«
    »Das kann man nie wissen. Man kann nie wissen, wo einen die Pilgerfahrt hinführt.« Er starrte vor sich hin. »Den einen ans Grab des Herrn - den anderen an sein eigenes Grab. Die Sühne hat nicht nur ein Gesicht.«
    »Nein.« Sie lächelte still. »Der Friede aber auch nicht, mon seignur .«
    »Der Friede auch nicht, Mädchen.« Er lächelte zurück. »Aber mit ein wenig Frieden in meiner alten Seele würde ich zufrieden sterben.«
    Ima sah ihn nachdenklich an. »Lässt sie Euch denn gehen?«
    Er setzte sich gerade hin, um nicht von seinen furchtbaren Zweifeln verzehrt zu werden. »Ja, sie lässt mich gehen. Sie macht mir keinen Vorwurf - im Gegensatz zu Euch, Ima.« Jetzt wagte er es sogar, ihr über den Kopf zu streichen. »Die Herzogin ist unversöhnlich.«
    »Aber … aber was hätte ich tun sollen?«, fragte sie fassungslos.
    Er seufzte. »Genau das, was Ihr getan habt. Einen feigen Mord verhindern. Ima, Ihr seid eine tapfere, mutige Frau, und ich bin stolz darauf, dass ich Euch kennenlernen durfte.«

    Ima lächelte schüchtern. Ihr wurde warm ums Herz. Dieser alte Recke hatte seinen Sohn durch ihre Schuld verloren und hätte allen Grund der Welt, sie zu hassen. Er tat es nicht, im Gegenteil, er schenkte ihr für einen winzigen Moment Geborgenheit …
    »Ich bin sehr alt geworden an des Guiscards Seite, müsst Ihr wissen«, sprach er weiter. »Ich habe viele Männer kommen und gehen sehen. Euer Vater war einer der ehrlichsten und stärksten unter seinen Vertrauten.« Er lächelte, weil sie große Augen machte.
    »Woher wisst Ihr …?
    »Er sagte mir, wo Ihr zu finden seid, bevor er Salerno verließ.«
    Sie starrte den Boden an, wo ihre Stiefel Kringel in den Staub gebohrt hatten.
    Marc räusperte sich. »Euer … Euer Vater verließ den Guiscard aus freien Stücken, weil er die Plünderung Roms nicht vertreten konnte. Euer Vater war ein stolzer und freier Mann, der sich von niemandem etwas diktieren ließ …«
    »Der König von England hatte ihn gebannt«, unterbrach Ima ihn. »Mein Vater war ein Friedloser.« Es fiel ihr sehr schwer, diese Worte auszusprechen, weil sie eine Vergangenheit heraufbeschworen, die besser weiterschlummerte.
    Marc lächelte sie versonnen an. »Ihr seid Eurem Vater sehr ähnlich«, sagte er, ohne auf ihren Einwurf

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