Die Totenfrau des Herzogs
auf die Lippen. Die Vergänglichkeit färbte einst blühendes Leben zu grauem Brei und kleidete den Menschen in sein eigenes Leichentuch. Wie unwürdig erschien ihr das für diesen Mann! Ein Arm hing bis zum Ellbogen über den Bahrenrand, unheilvoll violett im Feuer glänzend.
Siehste, lachte der Geruch hinter ihr, ich hab’s dir versprochen - er ist mein, und du auch! Lass dich fallen … Und wieder kratzte er an dem Schutzzauber, der Ima umfing. Sie gab sich einen Ruck.
Ein Schuss Kampferöl schlug Funken in den Flammen. Ima überlegte fieberhaft. Kräuter würden auf der Haut nichts mehr ausrichten. Die Leiche vor dem Auseinanderfallen zu bewahren war das Einzige, was sie tun konnte. Sie
musste in dickeres, festeres Material gewickelt werden, damit sie transportabel blieb. Und so schlug sie die Wachstücher wieder über dem Herzog zusammen, um ihn danach in eine weitere Lage Tücher wickeln zu können. Sinnlos, in der Unordnung des Zeltes danach zu suchen. Entschlossen nahm sie ihr Messer und trennte Teile der Zeltwand heraus. Dieses Segeltuch war stark genug, den Toten zu halten. Als die ersten Bahnen vor ihr lagen, wandte sie sich wieder der Leiche zu und bekräftigte ihr Vorhaben vorsichtshalber mit einer weitere Thymianwolke im Feuer.
Für den Arm brauchte sie allen Mut. Er wog schwer, und als er zwischen die Tücher fiel, riss die Haut am Unterarm auf und gab graues Fleisch frei. Hastig drehte sie sich zu ihrem Wachstopf um.
»Wið ðy wonnan attre, wið ðy brunan attre, wið ðy basewan attre … «
Gérard hörte ihren Gesang. Wieder und wieder die gleichen heidnischen Worte, die sie den Kopf hätten kosten können, wenn ihr jemand aufmerksam zugehört hätte. Doch da war niemand mehr. Auch die Knappen waren gegangen, das Feuer brannte ja.
Würgend lag er vor dem Zelteingang und besaß doch keine Kraft hineinzugehen, aus Angst, seinen Brechreiz nicht unter Kontrolle zu haben. Erst war der Priester gekommen, dann der kleine Mönch, und beide waren sie wortlos an ihm vorbeigestürzt. Wieso konnte Ima das aushalten?
Und so tat er das Einzige, was ihm hier möglich war: Er betete für sie, wie er noch nie zuvor gebetet hatte. Flehte Gott an, ihr genug Kraft zu geben, die schwere Arbeit zu verrichten, bei der ihr niemand helfen konnte - auch er nicht. Und er flehte um Vergebung und Gnade für sich selbst. Und als er die Nachtigall hörte, war er machtlos gegen die aufsteigenden Tränen.
Die Sonne ließ sich auf der Insel durch nichts beirren - sie ging jeden Morgen auf und versengte Land und Mensch.
Als die Herzogin in den frühen Morgenstunden auf das Zelt ihres verstorbenen Gatten zuwanderte - zu Fuß und mit offenem Haar, nachdem sie sich eine Nacht erholt hatte und nun wieder Trauer zeigen wollte -, präsentierte sich ihr ein dramatisches Bild. Das jedenfalls fand Gérard, der, vom Stimmengewirr geweckt, sich neben einem Dornenstrauch herumwälzte und den Ort, an dem er letzte Nacht ins Gebet versunken gewesen war, kaum wiedererkannte.
»Hexenwerk!«, rief jemand, »Herrin, alles Hexenwerk, ich war Zeuge - Hexenwerk …«
Verwirrt schaute er umher, entdeckte einen bleichen Roger, den alten de Neuville, Guilleaume de Grandmesnil. Immer mehr Männer in Waffenröcken traten zwischen den Zelten hervor. Unwillkürlich ging er in Deckung, obwohl es doch die eigenen Männer waren, die ihrem Herrn nun die letzte Ehre erweisen wollten. Stöhnend barg er den Kopf in den Händen. Hatte er in der Nacht etwa gesoffen?
»Gottverdammtes Hexenwerk«, jammerte der Priester, » Kyrie eleison , jagt sie fort …«
»Schweigt!« Die schrille Stimme der Herzogin duldete keine weiteren Worte. Mit wehenden Gewändern rauschte sie vorwärts, geradewegs auf Gérard zu, der sich unter seinem Dornenbusch plötzlich wie am Pranger vorkam. »Wie mir scheint, geht es in diesem Lager drunter und drüber, und Dinge passieren, ohne dass ich sie angeordnet habe! Ihr da - hatte ich Euch nicht eigentlich befohlen, gar nicht hier zu sein? Ihr hintergeht mich! Und wer in aller Welt ist auf die Idee gekommen, das Zelt meines Gatten abzureißen? Wer kann es wagen, das Totenhaus zu verändern? Wer hat sich an meinem Gatten vergangen?« Ihre Stimme überschlug sich, die Sonne schob sich hinter eine Pinie.
»Ich, ma dame .«
Von einem Hocker neben den Zeltresten erhob Ima sich. Nachthimmelblauer, vornehmer Wollstoff umfloss ihre schmale Gestalt. Eine eckige rubinbesetzte Fibel blitzte auf ihrer Brust - jedermann vom Hof in
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