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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Reling und spuckten grüne Galle in die aufgewühlte See. Die Küste Kephalonias war schon lange außer Sicht geraten, und es schien, als wolle der aufkommende Sturm sich hier draußen zum alleinigen Herrscher aufschwingen. Wie eine Katze die Maus umherwirft, schubste er das Schiff durch die Wellen, nahm den Menschen das Gleichgewicht und forderte ihren Mageninhalt. Noch hielt Ima es aus, doch sie fühlte die Übelkeit bereits nahen und dachte darüber nach, wohin sie sich dann setzen sollte, damit
das Kleid nicht verschmutzte. Dumme Gedanken, es war ja bereits nass. Sie schluckte etwas Galliges herunter. Die Gischt sprühte ihr feinen Nebel ins Gesicht. In kleinen Bächen rann das Salzwasser in ihren Mund, ganz gleich, wie oft sie es wegwischte. Das Gallige kam wieder. Mühsam schluckte sie. De Neuville streichelte mitleidig ihren Arm.
    Am Bug erkannte sie Gérard. Er saß auf einem erhöhten Platz neben der Buglaterne, von wo aus er den Überblick über das gesamte Schiff hatte. Wichtigtuer, schoss ihr durch den Kopf. Selbst hier tut er noch so, als ob …
    Er sah sie an, die ganze Zeit. Er hatte sich den Platz ausgesucht, um sie anzusehen. Das war ihr unangenehm, und so schaute sie weg. Doch immer wenn sie den Kopf drehte, traf sie sein Blick. Auch als mit zunehmender Dämmerung Laternen entzündet und an den Masten aufgehängt wurden, ließ er sie nicht einen Moment aus den Augen. Die Laternen schaukelten im Wellengang wie wild, eine fiel aus der Halterung und zerbrach am Boden. Geistesgegenwärtig deckte jemand sein Hemd über die Flammen, bevor sie sich in Kleidern und Decken ausbreiten und eine Feuersbrunst auslösen konnten. Nachdem die Sonne untergegangen war, schien die graue See bis zum Himmel zu reichen und mit ihm zu verschmelzen. Der Horizont war in der Dämmerung nicht mehr zu erkennen - vielleicht hatte sie ihn auch bereits verschluckt, weil sie sich in ein hungriges Ungetüm verwandelt hatte. Ima wusste nicht, was ihr mehr Übelkeit verursachte - das ungleichmäßige Rollen des Schiffes oder die Angst vor dem erwachten Ungetüm, die sich mit zunehmender Dunkelheit noch verstärkte …
    »Der Sturm hat uns gefunden, Ima«, schrie Marc von der Seite in ihr Ohr - mit normaler Lautstärke konnte man längst sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. »Jetzt hat er uns gefunden! Gott sei uns gnädig - gnädig sei Er uns
in dieser Prüfung!« In seinen düsteren Kleidern war der alte Krieger kaum noch zu erkennen, und irgendwann verschwand er von ihrer Seite. Sie besaß nicht die Kraft, sich nach ihm umzuschauen.
    Die Priester lagen auf den Knien und beteten, ihre erhobenen Hände wirkten wie weiße Geister in der Nachtluft. Der eine riss das Kreuz in die Höhe umd schrie den Wellen entgegen: »Ecce crucem Domini! Fugite! Fugite, partes adversae! Vicit Leo de tribu Juda, radix David. Fugite! Alleluja! Fugite!«
    War die Hölle unter ihnen aufgebrochen? Niemand wusste, welche Kräfte sich hier entfesselten - war es der Teufel oder gar Schlimmeres, was sie hier verschlingen wollte?
    Ein zweiter Priester stand auf und unterstützte ihn mit der Bannformel, die das Dämonenheer jedoch nicht zu interessieren schien. Furcht umklammerte Ima wie ein nasses Tier. Sie hatte sich dagegen entschieden, an die Reling zu rutschen, wie viele Männer das versuchten, weil sie hofften, dort Halt zu finden. Das Schiff neigte sich den Wellen so stark entgegen, dass man meinen konnte, sie würden an der Reling ziehen … aber ja, das taten sie, mit vielen gierigen Fingern, und manche griffen auch wie ein salziger Alptraum nach den Männern, die um ihr Gleichgewicht kämpften. Einer ging schreiend über Bord. Niemand bemerkte es, weil jeder mit sich selbst beschäftigt war. Ima wagte es nicht einmal, ihm hinterherzuschauen, aus Angst, die nächste Welle könnte dann nach ihr greifen. Und so blieb das Grauen neben ihr hocken, damit sie nicht vergaß, dass sie den Tod eines Menschen mit angesehen und nichts dagegen unternommen hatte.
    Weinend rutschte sie zwischen die Bänke. Ihre Beine umschlangen einen Bankpfosten, dahinter kreuzte sie die Füße, um nicht umherzufliegen, denn das Schiff schien nicht mehr
Herr über sich selbst zu sein. Von den Sturmböen boshaft umhergeworfen, schaukelte es von rechts nach links, und wenn eine Welle es von vorn hob, kippte es unvermittelt nach hinten - man wusste nicht, auf welche Richtung man sich einstellen sollte.
    »Dominus pascit me, et nihil mihi deerit: in pascuis virentibus me collocavit«

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