Die Totenfrau des Herzogs
näher einzugehen. »Sehr. Auch Ihr werdet Euren Weg gehen. Ihr seid eine von Gott gesegnete Heilerin, ich habe gesehen, wie Ihr den Heiligen Vater …«
»Man zwang mich dazu«, unterbrach sie ihn wieder, jetzt ärgerlich und aufgewühlt über das seltsame Gespräch.
Er nahm ihre Hand und schloss sie zwischen seine faltigen, müden Kriegerpranken. »Hört mir jetzt zu, denn ich sage es nur einmal, weil man mich für diese Worte ebenfalls bannen könnte: Ihr seid eine von Gott gesegnete Heilerin,
Ima von Lindisfarne. Ihr braucht keine Herzogin, keine Gunst und keinen Herrn der Welt. Gott hat Eure Hände geküsst, und Er allein wird Euch leiten.« Liebevoll küsste er ihre Hand, dann beugte er sich vor. »Und hört auf Euer Herz, Mädchen. Der Stolz macht einsam. Lasst Euch das von einem verdammten alten Narren sagen. Stolz macht einsam.«
Wie eine Liebende streckte die Bucht ihre Arme nach ihnen aus. Bleibt, schien sie zu rufen, bleibt bei mir, bleibt und lasst mich nicht allein! Ihre baumbestandenen Hänge winkten dem Herzog hinterher, die Wellen rauschten ein vielstimmiges Abschiedslied im Chor mit dem Wind, der mutwillig in die Bucht hineinfuhr und dort kein Schiff mehr vorfand, mit dem er es aufnehmen konnte.
Imas Haar war unter der schweren Kapuze verborgen, weil sie es nicht ertrug, dass der Wind damit spielte. Seit der Nacht fühlte sie sich so verletzlich wie eine Schnecke, der man das Haus genommen hat. Selbst die Flechten, die sie mit Hornnadeln festgesteckt hatte, schmerzten am Kopf. Seufzend löste sie die Nadeln und legte sich die Zöpfe um den Hals. Neckisch fuhr der Wind in die Kapuze, doch sie hielt sie mit beiden Händen fest.
»Bei dem Wind werden wir bald zu Hause sein!«, rief de Neuville neben ihr und strahlte. Ima nickte. Sie stand ganz vorne am Heck und sah zurück aufs Land, und so war sie die Letzte, die die Inselbucht verließ.
Roger Borsa hatte verfügt, dass alle vorhandenen Schiffe die Heimreise antreten sollten, um den Herzog auf seiner letzten Reise zu begleiten. Wer auf den Schiffen keinen Platz mehr fand, grämte sich - für die Männer war es eine große Ehre, am Totengeleit teilzunehmen. Ein gutes Dutzend Segel flatterte im Wind, doch auch wenn es sich munter anhörte, so war es dennoch eine traurige Flotte.
Die düsteren Gestalten der am Strand Zurückgebliebenen wurden immer kleiner. Manche winkten den Schiffen hinterher, andere trotteten bereits ins Lager zurück, um über heimlich angesetztem Honigwein und schalem Bier zu vergessen, was sie auf diese unwirtliche Insel eigentlich verschlagen hatte und warum sie nun hier hängen blieben, bis man daran dachte, sie abzuholen - oder sie über der Neuordnung des Reiches vielleicht vergaß. Mancher mochte wohl schon Pläne schmieden, anderweitig sein Glück zu suchen und den Abbau des Lagers gar nicht erst abzuwarten. Byzanz, das hatte Ima mitbekommen, stach auch hier nicht wenigen Soldaten in die Nase …
Der Borsa hatte sich wie ein Feldherr neben dem Katafalk seines Vaters aufgebaut und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Er wirkte jetzt schon seekrank, fand Ima, als sie zu den Bänken zurückbalancierte und sich einen Platz in sicherer Entfernung zur Herzogin suchte. Zumindest seine Gesichtsfarbe ließ darauf schließen - aber vielleicht hielt er sich auch zu nah bei der Leiche auf, die ihren üblen Geruch leider nicht verloren hatte. Nur der Wind half hier, ihn zu verteilen. Auf ein reinigendes Kohlefeuer hatte man auf dem Schiff natürlich verzichtet. Imas Kräuter waren noch vor der Messe im Feuer gelandet.
Die Segel nahmen den von Osten kommenden Wind gut auf - wenn sich die Windrichtung hielt, würde man bis Otranto kaum rudern müssen und konnte vielleicht sogar mit gehisstem Segel bis kurz vor den Hafen fahren. Die Männer unterhielten sich leise darüber, welchen Aufruhr es wohl verursachen würde, wenn die halbe Flotte des Guiscard auf einmal in Otranto anlegen würde, und welche Ehre es doch war, dabei zu sein. Dicht an dicht würden die Schiffe liegen - ein gutes halbes Dutzend zählte Ima hinter ihrem Schiff, von kleinen Daus bis hin zu einer großen Galeere, und alle waren sie bis auf den letzten Platz im Taulager besetzt.
»Ego autem« , stimmten die Priester einen Psalm an, um Gott gnädig zu stimmen. »Ego autem in te speravi, Domine, dixi: ›Deus meus es tu, in manibus tuis sortes meae.‹« Viele Männer summten mit - die meisten kannten die Psalmen nicht, doch es gab ihnen ein gutes Gefühl,
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