Die Totenfrau des Herzogs
wusste, und er - er würde hier sterben, denn das hielt er nicht aus …
»Ima …« Als der Name ihm stöhnend entfuhr, drehte das Mädchen sich um. Ungeschickt wischte sie sich die rot geweinten Augen trocken.
»Die Herzogin hat sie geholt. Ima ist mit der Herzogin fortgeritten.« Sie reckte sich. »Es gibt einen Toten zu beweinen, Ritter des Herzogs. Auch du musst um ihn weinen.«
DRITTES KAPITEL
Mit deiner Seele hat sich meine
Gemischt, wie Wasser mit dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser trennen,
Wer dich und mich aus dem Vereine?
(Rumi)
A m Stadttor wagte Gérard, nach dem Reiseziel der Herzogin zu fragen.
Und tatsächlich - anstatt ihn zu veralbern, ob er in der vergangenen Nacht nicht genug Weiber gevögelt habe, schließlich kannte man ihn als notorischen Weiberhelden -, nahm der Wachmann ihn beiseite und deutete auf den steilen Weg, der sich am Montecorvino entlang nach Osten hochschlängelte. »Dort sind sie entlang, und die Dame Sicaildis hatte es sehr eilig. So, wie sie dahinflog, wird sie Otranto in drei Tagen erreicht haben.« Vielsagend neigte er den Kopf.
Otranto!
Sicaildis wollte nach Kephalonia übersetzen! Am Ende hatte die Verrückte doch recht … Plötzliche Aufregung bemächtigte sich seiner - Otranto! Er zählte an seinen Fingern ab. Er selbst war schon in vier Tagen nach Otranto geritten und hatte dabei sein Pferd fast umgebracht, denn die Strecke verlief quer durch Apulien und hatte nicht wenige Sümpfe und steile Bergpfade zu bieten. War man vom Unglück verfolgt, lauerten einem Wegelagerer auf, die der Guiscard in all den Jahren nicht hatte vertreiben können. Nun ja, der Guiscard war ja auch mal einer gewesen, so
erzählten sich die Alten. Damals, als er von der Pilgerfahrt nach Apulien kam, ohne Pferd, ohne Waffe, verarmt und hungrig wie ein Bär … Gérard riss sich zusammen. Er war vollkommen durcheinander, verflucht noch mal, und schuld daran war allein sie!
Otranto in drei Tagen. Von der Herzogin war allgemein bekannt, dass sie eine exzellente, ausdauernde Reiterin war, doch führte sie ja mindestens zwei Frauen und weiteres rittunerfahrenes Volk mit sich, wie hochgeborene Damen das eben zu tun pflegten … wie schnell konnte sie da vorwärtskommen? Was für ein irrsinniges Unternehmen!
»Du solltest dich sputen, Ritter des Guiscard«, sagte der Wachmann und hob bedeutsam die Braue. »Sie tut es auch.« Gérard nickte knapp. Es gab kein Nachdenken. Nicht darüber, was Roger Borsa, der ihn in einer Angelegenheit eigentlich nach Palermo geschickt hatte, über seine allzu schnelle Rückkehr sagen würde, und nicht darüber, wie er wohl nach Kephalonia gelangen würde. Die Herzogin hatte die Frau mitgenommen, für die er gerade ein Haus fertiggebaut hatte und ohne die er eigentlich nicht leben konnte. Sie wusste das nur noch nicht. Er würde sich aufmachen, sie heimzuholen, und wenn er dafür nach Kephalonia schwimmen musste.
Sein Hengst wieherte schrill beim Angaloppieren, so als wollte er der Welt mitteilen, dass er nun gemeinsam mit seinem Herrn Apulien durch die Kraft seiner langen, ausdauernden Beine erobern würde. Sie stoben am Küstenpfad entlang, und die Fischer konnten ihre Karren nicht schnell genug in Sicherheit bringen - Holz splitterte, toter Fisch flog durch die Luft, und Netze zerrissen zwischen den Hufen des Pferdes. Geschrei ertönte hinter ihm: »Der Teufel soll dich holen!«, und ein Holzscheit flog ihm nach. Gérard duckte sich über die Mähne und spornte sein Pferd an. Drei Tage bis Otranto!
In der ersten Pause hinter dem Montecorvino gab es Ärger. Erst hier erkannte Ima, wer eigentlich alles zur Reisegruppe gehörte, die die Herzogin erbarmungslos vorwärtsgescheucht hatte. Die kleine Dienerin und die Bewaffneten gehörten zum herzoglichen Haushalt. Als geistlichen Beistand hatte sie Bruder Thierry mitgenommen - ein kleiner Sonnenstrahl für Ima, weil sie mit dem schmalen Mönch eine intensive gemeinsame Zeit und tiefe Freundschaft verband. Sie war neben Trota der einzige Mensch, der wusste, dass sich unter der Mönchskutte eine Frau verbarg, welche irgendwann einmal entschieden hatte, den Weg Gottes als Mann mit Tonsur zu gehen. Ima hatte den Grund dafür nie so richtig verstanden, doch statt Thierry für diese Anmaßung zu verurteilen, schätzte sie seine Besonnenheit und sein Gottvertrauen - und liebte es, mit ihm zusammenzuhocken und über banale Dinge zu flüstern. Verstohlen reichten sie sich vor Freude feuchte Hände und
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