Die Totenfrau des Herzogs
einem starken Kerl hinaufgetragen worden, alle anderen hatten den unbequemen Weg selbst hinter sich bringen müssen. Das Tau hatte sich in ihre von den Zügeln noch wunden Hände eingegraben und Schrunden geöffnet, die sie noch nicht hatte versorgen können. Nun verbiss sich die salzige Luft in den Wunden. Ima fühlte schlechte Laune in sich hochsteigen. Sie mochte keine Strickleitern, und sie mochte auch Schiffe nicht, aber dies hier musste sein, sie hatte ja keine andere Wahl. Das jedenfalls war die Lehre der letzten vier anstrengenden Tage. Die Herzogin ließ sie nicht aus den Augen, sie hatte ihren Widerstand auf der ganzen Reise bemerkt. Auch wenn sie sich über das Thema Heirat nicht mehr gestritten hatten,
war Imas Widerwille gegen das Maultier und den scharfen Ritt doch offenkundig, und Sicaildis hatte kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich über ihren schwächlichen Hofstaat lustig zu machen. Dass sie auch heimlich weinte, wenn niemand sie beobachtete, hatte nur Ima mitbekommen und dann trotzig die Hände unter die Arme geschoben, um nicht gegen ihren Willen Trost zu spenden.
Ima stellte sich hinter eine Transportkiste, damit sie die hohe Dame nicht anschauen musste, die gerade mit rauer Stimme die Seeleute zur Eile anfeuerte. Die taten bereits ihr Bestes, doch niemand wagte es, sich zu beschweren. Auch hier in Otranto kannte man die Langobardin offenbar vor allem von ihrer ungeduldigen Seite und bemühte sich, sie nicht zu reizen. Thierry hockte auf einer Bank und murmelte Gebete vor sich hin, vielleicht um die Wellen zu besänftigen - oder die Herzogin, deren Stimme immer unangenehmer wurde. Am Ufer trieben sich ein paar Schaulustige herum, Kinder spielten in der Abendsonne mit einem Ball, neben den Fischernetzen jammerte ein Bettler über sein schmerzendes Bein, dabei hatte er gar keines mehr, das ihn schmerzen konnte. Das rote Pferd wieherte. Sein Reiter hob hektisch den Kopf, fuchtelte mit dem Zügel herum, um das Tier zu beruhigen, dabei fiel ihm die Geldbörse herunter, landete in einer Pfütze - er fluchte ungezogen, trat mit dem Fuß in die Pfütze, dass Wasser hochspritzte, die Umstehenden lachten, einer von ihnen deutete theatralisch einen Tritt in den Hintern an …
»Aber wo läufst du denn hin, Ima! Bleib hier, wir legen doch schon ab …«
Thierrys Stimme verklang. Ima wunderte sich, wie schnell sie die Schiffsleiter wieder herunterklettern konnte und dass sie die wunden Hände dabei kaum spürte. Der nasse Rocksaum störte sie nicht, und auch nicht, dass sie
mit einem Schuh beim Sprung im Wasser landete. Der nasse Saum klatschte um ihre Beine, erschwerte den Lauf, doch was waren diese Strapazen gegen das Herzklopfen, welches ihr die Brust zerriss … Er war es wirklich. Wasser aus der Pfütze rann ihm am Gesicht herab und blieb im wie immer ungepflegten Bart hängen.
Die Geldbörse schwamm weiterhin in der Pfütze, kein Wunder, denn sie gähnte ja vor Leere. Doch die Pfütze war aus purem Gold und er ein reicher Mann, denn Ima spiegelte sich in ihr. Gott hat mir nun endgültig den Verstand geraubt, dachte er noch.
Jemand lachte, ohne zu wissen, worum es hier ging.
»Was - was tust du hier?«, fragte sie atemlos und versteckte ihre Hände in den Taschen ihres Ärztemantels, wohl um sie von unüberlegten Handlungen abzuhalten.
»Ich …« Er starrte sie an wie einen Geist, fassungslos - das - das ging zu schnell für ihn. Er brauchte mehr Zeit zum Verstehen. »Ich bin dir nachgeritten, Ima.«
»Aha.« Schweigen. War es falsch gewesen? Unpassend? Verflixt - ihr in die Augen zu schauen, das wagte er nicht, starrte stattdessen auf ihren Hals, wo sich hässliche rote Flecken gebildet hatten, sicher vom Laufen, ganz sicher, wovon auch sonst. Das verdammte Kettenhemd wurde ihm über dem Herzen zu eng - er trug das Hemd stets mit Stolz, doch nun hätte er es sich am liebsten vom Leib gerissen, um besser Luft zu bekommen.
»Du bist mir nachgeritten?«, flüsterte sie mit einem Mal, und etwas wie Verzückung schlich sich in ihre Stimme. »Warum hast du das getan? Gérard …« Sie biss sich auf die Lippen, und als er endlich den Blick in ihre Augen wagte, sah er es dort wie Tränen schimmern. »Du bist mir nachgeritten …« Offenbar hatte das Bedeutung für sie, und so nickte er nur stumm. Sanft legte sich Friede auf sein Herz - alles war gut, er hatte sie gefunden. Die Umstehenden traten
von einem Fuß auf den anderen, wie durch einen Zauber hielten sie den Mund und warteten, was hier wohl
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