Die Totenfrau des Herzogs
Sicaildis weiß ganz genau, wie es in uns Soldaten aussieht.« Marius setzte sich gerade hin. »Sie teilte Schmerz und Leid mit dem Heer ihres Mannes. Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, das zu sagen: Sie hat das Herz einer Löwin.«
»Erzählt mir davon.« Ima stützte das Kinn auf die linke Hand und legte den Kopf schräg, um ihn besser sehen zu können. In seinem Gesicht zuckte es - ein hässlich-harter Zug formte sich um seinen Mund, den sie von Gérard nicht kannte. Dem hatte das Leben sicher noch härter zugesetzt, doch den Mund nicht berührt. Sie schämte sich, über diesen Mund so viel nachzudenken, wo sie sich gerade böse entzweit hatten, und so knautschte sie verlegen ihren Rock mit der verborgenen Hand. »Erzählt mir davon, was die Dame Sicaildis mit Euch teilte.«
»Ich weiß eine Geschichte zu erzählen, ma dame .« Jean d’Aulnay, ein älterer Fußsoldat, der als Leibwache eingeteilt war, trat näher. »Wenn Ihr erlaubt, mon seignur . Ich lag vor Dyrrhachion, als es um Leben und Tod ging und der Herzog mit uns sterben wollte.«
»Erzählt es mir. Bitte.« Ima lief es kalt den Rücken hinunter. Der Herzog war tot, doch nun würde er wiederkommen und dafür sorgen, dass sie seine Taten zu schätzen lernte.
»Wir lagen vor Dyrrhachion, auf der anderen Seite des Adriameeres - das muss jetzt drei Winter her sein. Wir hatten
unser Lager in den Salzlagunen aufgeschlagen - dort, wo sonst niemand hingeht, weil alles Leben im Salz erstirbt. Der unwirtlichste Platz auf der ganzen Welt, um ein Heer auf den Kampf vorzubereiten.« Der alte Mann blickte aufs Meer. Das Salz von Dyrrhachion trug er wohl immer noch in sich. »Wir hatten ja die Flotte bereits verloren, in jenem alles verzehrenden Sturm von Kap Linguetta, der Schiffe zerstörte und unzählige Krieger in den Tod riss … wir waren müde, ma dame. Sehr müde. Wir hatten in Valona gekämpft, wir belagerten Dyrrhachion, was dem Herzog wichtig war, weil man von dort aus nach Konstantinopel gelangen würde. Dort wollte er hin.«
»Unfug, er wollte doch nicht nach Konstantinopel!«, protestierte der Jüngere.
»Der Herzog wollte nach Konstantinopel, mein Junge. Verlasst Euch drauf - das war sein Plan.« Nachdenklich starrte d’Aulnay auf die Planken zu seinen Füßen. »Doch die Lage wurde gefährlich - der Kaiser , Alexius von Konstantinopel, hatte sich venezianische Kriegsschiffe zu Hilfe geholt, und sie schlossen uns vom Meer aus ein - uns, die wir eine Stadt belagerten! Immer mehr Städte, die wir in den Monaten zuvor erobert hatten, fielen daraufhin von Herzog Robert ab und sagten Alexius Unterstützung zu. Wankelmütige! Zauderer! Feige Bergbewohner! Sie zahlten einfach keinen Tribut mehr an uns und schickten ihre Soldaten an den Kaiser. Die Lage war angespannt.« Er kratzte sich lange und ausgiebig den Nacken, als könnte das die Erinnerungen intensiver zurückbringen. Doch sein Gedächtnis war exzellent, Ima hatte keine Sorge, dass er etwas dazuerfand.
»Dann schlugen die Venezianer vom Meer aus zu«, sprach er weiter. »Sie verhöhnten Roberts Sohn, den jungen Bohemund, der von ihnen verlangt hatte, Robert neben dem entmachteten Kaiser anzuerkennen …«
»Was wirklich eine törichte Idee war«, unterbrach Marius mit böser Stimme. »Das müsst Ihr zugeben - eine sehr törichte Idee. Bohemund ist nicht der Mann für solche dreisten Forderungen. Roger hätte das fordern können, doch Bohemund …«
»Wir verloren den Kampf. Haushoch, ma dame .« Der Alte ging nicht näher auf das Gehetze de Neuvilles ein. Offenbar war er anderer Meinung und ein Anhänger des unglücklichen jungen Grafen von Tarent. »Wir verloren den Kampf und unsere Flotte, die Venezianer schickten uns Feuersalven, die die Schiffe in Brand setzten. Der junge Graf verlor beinah sein Leben, als sein Schiff von einem dieser Wurfgeschosse getroffen wurde.«
»Was hatte er sich auch mit den Venezianern anzulegen«, bemerkte Marius verächtlich.
»Graf Bohemund, mon seignur , schlug sich tapfer für sein Alter und dafür, dass er niemals zuvor eine Seeschlacht geleitet hatte. Ich möchte Euch in der Lage sehen!« D’Aulnay war wirklich böse geworden, und nur die Tatsache, dass es keinen Platz gab, wohin er mit seinem Ärger hätte ausweichen können, veranlasste ihn wohl, sitzen zu bleiben.
»Erzählt weiter, mon seignur «, bat Ima. Sie spürte, dass sie dem Guiscard ganz nah war.
»Der Guiscard belagerte Dyrrhachion unbeirrt weiter. Er baute riesige Belagerungstürme -
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