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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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manche auf einen Stock gestützt oder mit lappigen Verbänden versorgt. Frische Wunden gab es schon lange nicht mehr hier, nur eitrige Überreste von Schlachten und der bohrende Schmerz zerschlagener Knochen, dem die vom Winterfieber geschwächten Körper nichts entgegenzusetzen hatten. Der Schmerz hatte sich durch ihre Körper gefressen, ihre Seelen erreicht und sie durch das lange Ausharren am gleichen Ort mürbegemacht. Ein Soldat braucht ein Ziel, um sich zu opfern. Für manche hatte das Ziel Konstantinopel geheißen, für andere Reichtum, und manche kämpften tatsächlich
nur für den Ruhm Robert Guiscards. Ima spürte, dass er es vermocht hätte, diese zerlumpte Armee zum Leuchten zu bringen.
    Dem Herzogssohn jedoch jubelte niemand entgegen. Sie versuchten nicht einmal zu lächeln. Sie starrten ihn nur an. Es gab keinen Triumphteppich, nicht einmal einen gedachten. Es gab nur diese Zeltgasse, dicht gesäumt von herandrängenden Männern, und sie wurde sehr eng für den wehrlosen kleinen Trupp. De Neuville, der sie anführte, beeilte sich, das Ende so zügig wie möglich zu erreichen, ohne Hast aufkommen zu lassen.
    Unter einem alten Olivenbaum hatte man den Versammlungsplatz grob eingezäunt. Ringsum standen die Zelte der Reichen und Mächtigen des unglücklichen Heeres, dort hingen verzierte Banner und Flaggen, es roch nach gebackenem Brot und frisch angesetztem Bier. Wie überall mussten die Mächtigen keinen Hunger leiden, ihre Vorratswagen waren trotz der Knappheit immer noch gefüllt. Dennoch wirkten auch sie abgerissen, und die Müdigkeit machte ihre Gesichter fahl und die Augen glanzlos.
    Unter dem Olivenbaum fand sich ein großes Lagerfeuer, um die Stechfliegen abzuwehren, die Mensch und Tier hier in Seenähe plagten. Es gab auch hölzerne Bänke für die Heerführer - hier mochte wohl Robert Guiscard in warmen Nächten gesessen und mit den Getreuen über seine Kriegspläne gegrübelt haben. Ganz selbstverständlich nahm Roger auf der vornehmsten Bank Platz und ließ sich Wein bringen. Er trank durstig - der Geruch des starken Alkohols drang bis an Imas Nase, und sie sah staunend zu, wie er gleich drei Becher davon hinunterschüttete. Roger Borsa musste sich Mut antrinken, um zum Heer seines Vaters zu sprechen.
    Die Soldaten hatten sich um den Versammlungsplatz geschart. Es wurden immer mehr. Ein riesiges graues Heer
quoll zwischen Zelten und Hütten hervor, brachte den Geruch von Hunger und Krankheit mit und baute sich wie eine Wand vor dem Herzogssohn auf. Unzählige Augenpaare betrachteten den jungen blonden Mann, der seinem Vater so ähnlich sah und ihm doch nicht das Wasser reichen konnte. Wenigstens glaubte das hier niemand.
    »Ihr solltet … Vorsicht walten …«, raunte der Lagerkommandant Roger zu und ließ ein weiteres Mal nachschenken. »Die Stimmung ist … nervös … zu viele Tote … nach Hause …«
    »Mein Sohn weiß, was zu tun ist«, unterbrach Sicaildis den Mann mit kühler Stimme. »Spart Euch die Mühe.« Doch erst nach einem weiteren Becher wirkte der Sohn so, wie sie sich das wünschte, und er stand auf.
    »Männer von Bundicia! Hört mich an!« Er hob den Becher, was Ima nicht gefiel. War er bereits betrunken? »Hört mich an - ich bringe traurige Kunde!« Er verstummte. Gespannte Blicke - unversöhnliche Blicke. Hier und da Ärger, sogar Hass. Sie mochten ihn nicht. Sie wollten ihn nicht.
    »Das ist Bohemunds Armee«, flüsterte jemand hinter Ima. »Und es ist Bohemunds Becher, aus dem er da trinkt. Das wird ihm nichts Gutes einbringen.«
    »Männer von Bundicia - mein Vater, Herzog Robert Guiscard, starb in meinen Armen am Fieber! Weint mit mir! Der große Herzog ist tot! Trauert um ihn, weint mit mir!«
    Sie starrten ihn an. Die Reihen der grauen Gestalten rückten näher an den Olivenhain. Wie ein Gespensterheer kam es heran, man hörte nur das Schlurfen der Füße im Staub, der matt hochwirbelte und sich gemächlich auf den Gestalten niederließ. Roger trank. Dann wischte er sich den Mund mit dem Ärmel ab.
    »Gott nahm ihn zu sich, er starb mit seinem Segen und ohne Qual - er starb wie ein König, Männer!«

    »Was wird jetzt aus uns?«, rief einer von weit hinten. Unruhe entstand. Füße scharrten, ein Brummen begann.
    »Herr, kommt zum Ende«, raunte de Neuville besorgt. »Ihr habt sie nicht gewonnen, Herr, sie gehorchen Euch nicht …«
    »Der Herzog von Apulien übergab das Erbe an mich, Männer von Bundicia!«, rief Roger laut. »Ich bin der neue Herzog von

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