Die Totenfrau des Herzogs
Apulien!«
»Bohemund ist unser Herzog!«, schrie einer. »Schickt uns Bohemund!«
»Es war der Wunsch meines Vaters, dass ich Apulien anführe, und so soll es sein!« Roger reckte den Kopf und wirkte gleich bedeutsamer. »Robert gab mir Apulien zu treuen Händen, ich soll sein Nachfolger sein! Gott ist mein Zeuge - das waren seine letzten Worte!« Ima scharrte unmutig mit dem Fuß. Sie mochte es nicht, wenn Männer Gott zu Hilfe nahmen, um Eide zu schwören, für die sie eigentlich der Blitz treffen sollte.
»Seid still«, zischte die Herzogin, als hätte sie Imas Gedanken erraten. »Seid still, es steht auf Messers Schneide!« Der Alkohol hatte Roger gelockert. Mit ausgebreiteten Armen trat er auf die Männer zu. Spannung und Unruhe stiegen.
»Lasst uns heimgehen und Gott für seine Gnade danken! Lasst uns gemeinsam beten für eine gute Heimfahrt und für das Ende aller Krankheiten! Lasst uns danken für unsere vollen Truhen und unser Kriegsglück! Doch gebt mir ein paar Tage, um die Dinge zu ordnen, Männer! Ich will das Heer nach Hause führen, heim an eure Feuer, zu euren Frauen und auf eure Felder sollt ihr gehen - wenn ich meine Dinge geordnet habe. Wollt ihr zu mir stehen?« Er riss die Arme in die Höhe. Sicaildis hielt den Atem an. Niemand rührte sich. Sie starrten ihn fassungslos an.
»Wollt Ihr mir genauso treu dienen wie meinem Vater?«,
rief er mit tiefer, voller Stimme und ging rückwärts auf den Olivenbaum zu, als verliehe ihm der die Weisheit und Reife, die er nicht besaß, die jetzt aber gefragt waren. »Wollt ihr mir dienen und folgen?«
»Warum muss er sie fragen?«, flüsterte Thierry Ima fassungslos zu. »Sie müssen ihm doch folgen!«
»Nein«, raunte Ima zurück. »Müssen sie nicht. Vermutlich muss er sie kaufen, bevor sie ihm folgen …« Die Augen des Mönchs rundeten sich, doch Ima behielt recht: Mehrere Männer lösten sich aus der grauen Masse und traten vor den Sohn des Herzogs. »Er wird sie kaufen, Thierry. Er bleibt sonst allein.« Sie fassten sich an den Händen, weil die Lage so bedrohlich wirkte.
Roger schickte kurzerhand alle Umstehenden aus der Sitzrunde fort - auch seine Mutter. Die humpelte ohne ein weiteres Wort auf das vornehmste Zelt zu. Am Eingang drehte sie sich um. Selbstverständlich erwartete sie, dass Ima ihr folgte.
»Ich hasse sie«, murmelte Ima grimmig und ließ Thierry los. »Ich hasse diese Frau.«
Die Luft im Zelt war entsetzlich stickig. Ungewaschene Kleider, Unrat in den Ecken und ungeleerte Töpfe ließen darauf schließen, dass hier schon lange niemand mehr nach dem Rechten sah. Auf der Truhe, neben einem Stuhl das einzige Möbelstück, lag ein rostiges Schwert mit zerbrochenem Knauf. Kein Schmied schaute mehr, was zu reparieren war. Von einer aufgespießten Lanze baumelte ein Kettenhemd, zerlöchert, verschmiert und ungepflegt, kein Knappe versorgte die Löcher. Selbst der Wasserkrug sah so aus, als hätte man ihn länger nicht mehr sauber geschrubbt. Ima ekelte sich davor, Wasser aus diesem Krug trinken zu müssen. Der Lotter hatte also auch bei den Reichen Einzug gehalten - es wurde dringend Zeit, dieses Lager aufzulösen,
bevor der Kaiser in Konstantinopel Kraft schöpfen und über neue Angriffe nachdenken konnte. Schmutz und Hunger untergruben die Kampfmoral eines Kriegers.
Das schien die Herzogin ähnlich zu sehen; Abscheu zierte ihre stolzen Züge. Dennoch nahm sie Besitz von dem verwahrlosten Zelt. Man hatte einen Lehnstuhl für sie freigeräumt; erschöpft sank sie hinein und ließ sich ohne ein Wort der Klage die Wickel von den schmerzenden Beinen ziehen.
» Ma dame , Ihr solltet etwas essen«, versuchte Ima ein Gespräch, in der Hoffnung herauszufinden, für wann der Aufbruch geplant war. Am liebsten noch heute - da war es ja auf dem Schiff sauberer gewesen! Das Ungeziefer krabbelte überall herum - Kakerlaken huschten durch den Unrat, und in der Ecke hörte sie Mäuse rascheln. Wo würde man hier schlafen? Ähnliches schien Sicaildis durch den Kopf zu gehen, denn sie sah sich angewidert um.
»Dies ist kein Ort zum Essen«, murmelte sie düster und wirkte mit einem Mal sehr erschöpft.
»Nein«, sagte Ima leise. »Aber ein Stück Brot solltet Ihr dennoch zu Euch nehmen.«
Die Herzogin nickte stumm und irgendwie dankbar. Thierry reichte Ima den Beutel mit den Kräutern und kniete nieder, um für die Heilung der Beine zu beten. Daheim hätte er sicher Weihrauch verbrannt, doch schien es angesichts ihrer Stimmung hier nicht
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