Die Totenfrau des Herzogs
Thierry hatte die Augen geschlossen. Vorsichtig befreite sie sich aus der sanften Umarmung des Mönchs und rappelte sich auf. Das Brummen von draußen war leiser geworden - ob man sich geeinigt hatte? Ob Roger das Heer gekauft hatte? Was er ihnen wohl zahlen musste? Es würde Roger mehr als
Gold kosten, auch im Herzen dieser Krieger einen Platz als Anführer zu finden, dem sie folgen würden.
Doch was war all das gegen einen feigen Mord? Unruhig lief sie an Sicaildis’ Lager vorbei, und der Befehl hallte in ihrem Kopf wider. Tut es für Apulien . Sie fummelte am Rock, am Gürtel, am Beutel, hadernd, zögernd, zweifelnd. Ihre Finger berührten hinter dem Beutelleder die Würfel, und sie zog sie hervor. Es war, als hätte der Herzog sie ihr ein zweites Mal in die Hand gelegt - nun war sie an der Reihe zu würfeln. Was bedeuteten die Zahlen für sie? Besagten nicht alle Zahlen, dass sie sich bewegen musste? Sollte sie würfeln? Sie war keine Spielernatur wie der Herzog, sie lauschte vielmehr auf ihre innere Stimme. Jegliche Müdigkeit fiel ab von ihr, sie wurde hellwach, und selbst die Schwüle im Zelt verlor den Schrecken. Tut es für Apulien.
Konnte man so etwas zulassen? Durfte man es? Was würde sie überhaupt bewegen können? Durfte sie das? Sie war die Ärztin der Herzogin, nicht mehr und nicht weniger. Das war ihr Platz, man tanzte nicht aus der Reihe. Die ganzen Tage war sie ihr stumm gefolgt, hatte ihre Arbeit verrichtet, sich manchmal gewundert, hatte ehrlich um den Herzog getrauert und ansonsten den Mund gehalten, auch wenn sie sich über die geringschätzige Haltung der Herzogin immer wieder ärgern musste. Man respektierte sie dennoch im Allgemeinen als Dame und als Schülerin der Trota von Salerno. Eine Stimme jedoch hatte sie trotz ihrer hohen Geburt nicht. Nicht neben Sicaildis. Da hatte seit Roberts Tod kaum jemand eine Stimme. Nur so war zu erklären, dass ihr hinterlistiger Plan aufgehen würde … Hinterlist! Ihre Hand umklammerte die harten Beinwürfel, bis die Finger schmerzten. Man tanzte nicht aus der Reihe, erst recht nicht als unverheiratete Frau. Aber wenn es um ein Leben ging? Um die Zukunft eines ganzen Reiches?
»Verdammt!«, entfuhr es ihr. Erschrocken schlug sie sich auf den Mund. Sicaildis bewegte sich im Schlaf und murmelte undeutlich vor sich hin.
Es waren Roberts Würfel - es war Roberts Erstgeborener, über dessen Leben hier einfach verfügt wurde. Bohemund würde zumindest einen Teil des Reiches erben und verwalten, wie konnten sie es wagen, das in Frage zu stellen und ihn einfach beiseitezuschaffen? Das war nicht richtig - das konnte nicht richtig sein. Robert hätte das nicht zugelassen. Robert Guiscard hätte so einen feigen Mord verhindert. Und sie würde das nun auch versuchen.
Wie eine Glocke hing die Hitze des Tages über den Zelten. Es war ruhig geworden bei den Kriegern des Guiscard. Manche saßen beim Feuer und unterhielten sich, andere lagen im Schatten und dösten vor sich hin. Ima schenkte keiner Beachtung. Sie war wie eins der Weiber, die umhergingen und Dienste verrichteten: Frauen meist thessalischer Herkunft, hochgewachsen und wunderschön, viele von ihnen mit blondem Haar bis zur Hüfte. Auf Kephalonia waren die Dirnen schwarzhaarig gewesen. Ima ertappte sich trotz der Eile dabei, einer der Frauen neugierig hinterherzuschauen.
Aus vielen Zelten roch es nach Tod, obwohl Männer ein und aus gingen. Die schrecklichen Krankheiten des Winters, die so viele Ritter und Fußsoldaten dahingerafft hatten, wohnten noch hier, bereit, jederzeit aufs Neue zuzubeißen und sich ihren Tribut zu holen. Sie waren die Brüder des Hungers, sie machten gemeinsame Sache mit ihm und lauerten nur auf den richtigen Zeitpunkt …
»Na, was suchst du?«, fragte da ein Kerl hinter ihr. Sie fuhr herum. Er grinste. Zog ein Bein an und setzte sich bequemer hin, was nicht so einfach war, weil sein Arm in einer zerfetzten Schlinge hing. Sein Gesicht wirkte freundlich,
daher wich sie nicht zurück und hörte auch nicht auf ihr Bauchgefühl, dass dies kein Platz für Frauen war. Seit sie das Schiff in Otranto bestiegen hatte, war sowieso alles anders, und die bisherigen Regeln galten nicht mehr. Nachdenklich sah sie den Mann an. Sie hatte das Schlachtfeld von Rom überlebt - sie würde auch hier heil herauskommen.
Der Himmel allein wusste, woher sie ihre Zuversicht nahm.
Er hob die Brauen, als versuchte er, ihre Gedanken zu erraten. »Hast du vielleicht Durst?«
Welche Frage! Der Krug
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