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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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im Zelt war zu eklig gewesen. Auch an das letzte Essen konnte sie sich kaum noch erinnern. Beglückt, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, hob er einen Krug an und lächelte einladend. »Du bist neu, ich hab dich hier noch nie gesehen. Wo haben sie dich her? Deine Kleider sind noch sauber und deine Schuhe ohne Löcher …« Bewundernd glitt sein Blick über ihre Erscheinung. »Ich kannte ein Mädchen in Trikkala, das sah so aus wie du. Es starb am Fieber. Wie so viele bei diesem verfluchten Kriegszug …« Er starrte vor sich in den Schmutz. Auf seiner Stirn hatte sich eine tiefe Furche gebildet. Sie unterteilte die ungewöhnlich wild gewachsenen Brauen in zwei Hälften und machten das Gesicht noch finsterer. Dennoch nahm Ima vorsichtig den Krug aus seiner Hand und trank - ihr Durst war größer als die Furcht vor diesem abgerissenen Krieger. Dünne Rinnsale liefen an ihren Mundwinkeln herab. Daheim hätte man es mit einem Tuch abgewischt. Daheim hätte man aus einem Becher getrunken. Das Dünnbier schmeckte schauderhaft, offenbar war das Getreide nicht nur einmal verwendet worden, und niemand war auf die Idee gekommen, Kräuter in die gammelige Brühe zu werfen, um den Geschmack zu verbessern oder gar zu einem milden Rausch zu verhelfen, wie die Mutter es verstanden hatte. »Wir hatten schon mal besseres Bier«,
grinste da der Soldat entschuldigend. »Irgendwann … irgendwann hatten wir mal besseres … ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich bin sicher, dass es so war …«
    »Wie lange seid Ihr schon hier?« Sie unterdrückte den Ekel und trank weiter von der Brühe.
    »Lange, Mädchen. So lange, dass ich mich nicht mehr erinnere, wann ich nach Thessalien gekommen bin. Wir zogen die thessalische Küste rauf und runter, wir nahmen Städte ein und verloren sie wieder, wir kämpften gegen Byzantiner, gegen Seldschuken, gegen Thessalier, gegen … ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist.« Er lachte ein wenig hilflos. »Ich habe wohl zu oft einen Knüppel auf den Kopf bekommen. Der letzte Knüppel ist verrutscht.« Damit hob er den Arm und wurde still. Der letzte Knüppel hatte sein Leben als Krieger beendet, nun saß er nur noch hier und starrte den Leuten hinterher, die sich aufmachten, Gleiches mit Gleichem zu vergelten - wie er einst. Ima setzte den Krug ab und hockte sich neben ihn. Jegliche Angst vor dem Zerlumpten war verschwunden, wenn auch ihr Herz ein wenig heftiger schlug, nicht nur, weil es dämmerte. Vielleicht, weil es Gérard hätte sein können. Beim Gedanken an ihn wurde ihr schwindelig. Sie hatten sich seit dem Streit nicht mehr gesprochen. Sie wusste nicht einmal, wo er sich aufhielt, ob sie ihn wiedersehen würde … Ima biss sich auf die Lippen. Nicht dran denken. Sie beugte sich vor.
    Wortlos ließ der Mann sie in die Lumpen hineinschauen. Von seinem Unterarm waren nur noch Trümmer übrig, die irgendwann unter Schmerzen völlig schief zusammengewachsen waren. An einigen Stellen mochte sich die Haut nicht mehr schließen, dort eiterte die Wunde. Benutzen konnte er den Arm nicht mehr.
    »Man hätte ihn abnehmen können«, sagte Ima leise. Sie hütete sich, das Tuch anzufassen, damit er ihren sechsten Finger nicht sah. »Man hätte …«

    »Das wollte ich nicht.« Er starrte in das Tuch. »Hätte ich mal zugestimmt.«
    »Ich könnte dir einen Umschlag aus Beinwell zubereiten, wenn ich welchen fände«, sagte sie langsam.
    Er lachte spöttisch. »Beinwell. Mädchen - hier wächst im Umkreis von drei Tagesreisen nichts mehr. Wir lagern hier seit Monaten und haben alles verbraucht. Es gibt kein Holz mehr, kein Gras für die Pferde, keine Lämmer - nur noch Staub und Stein, ein bisschen Fisch. In Bundicia sind die Kinder diesen Winter gestorben - erfroren, wie jemand berichtete. Und niemand sagte uns, dass wir abziehen sollen.« Ein sich selbst überlassenes Heer ist wohl eine noch größere Gefahr als ein zum Kampf bereites Heer.
    »Aber jetzt zieht ihr ab.« Sie legte den Kopf schief und lächelte. Das alles hörte sich so furchtbar an. »Der Feldzug ist zu Ende, und du kannst nach Hause gehen.« Sie bemühte sich, ihre Stimme aufmunternd klingen zu lassen.
    Er nickte bedächtig. »Nach Hause.« Seine Gesichtszüge wurden hart. Vermutlich hatte er keins. Vermutlich war er ein Zwangsrekrutierter, entwurzelt, heimatlos. Hatte sich gezwungenermaßen aufgeopfert für einen Feldzug, den er nicht verstand, und würde ohne Beute in Apulien ausgesetzt werden wie ein räudiger Hund. Ein

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