Die Totenfrau des Herzogs
Pferd. Sein tiefschwarzes Fell glänzte, es sah wohlgenährter aus als die anderen. Der Sattel war schlicht und ohne Silberverzierung gewählt, und auch das einfache Zaumzeug würde in der Dunkelheit nicht auffallen. Ohne Federlesens stieg Ima auf und sortierte die Zügel. Gérard glaubte schon alle Hoffnung verloren. Sie würde vor seiner Nase einfach davonreiten. »Ima!« Das Pferd stand still. Sie hatte ihn entdeckt. Der Zerlumpte versuchte, über die Kruppe nach dem Rufer zu schauen. »Ima, komm her!« Ungeduldig winkte sie ihm, sich zu entfernen. Ihm platzte fast der Kragen. Er vergaß alle Vorsicht und marschierte auf sie zu.
»Was willst du«, fragte sie atemlos; er war sich nicht sicher, ob sie auch Freude empfand, ihn zu sehen.
»Was machst du hier?« Er hatte sich kaum im Griff, und wohl dadurch wurde das Pferd unruhig und tänzelte schnaufend vor ihm her - er kam nicht an Ima heran. Ihr kleiner Streit war nicht beigelegt, sie hatte leider nichts vergessen. Daher wechselte sie auch die Weidengerte in die ihm zugewandte Hand, wie ein Hinweis, dass sie damit auch zuschlagen konnte. Ja, das konnte sie.
»Ich muss mich auf den Weg machen, Gérard. Lass mich passieren.« Ihre Stimme klang hohl.
»Was für einen Weg? Mädchen, hör mir zu - ahnst du …«
»Ich hab keine Zeit zu verlieren. Wenn du etwas tun willst, dann halt mich nicht auf.« Ihr Fuß animierte das Pferd, gezielt auf ihn zuzutänzeln - das sah er jetzt, und für einen winzigen Moment schwoll seine Brust vor Stolz auf diese mutige, edle Frau, die sich tatsächlich mit allen Mitteln zu wehren wusste und auf dem Pferd agierte wie ein
Krieger - doch dieser Stolz war von kurzer Dauer, schließlich wehrte sie sich ja gegen ihn, verdammt. Er packte den Zügel, zerrte brutal am Gebiss, das Pferd versuchte darüber zu steigen, dann ergab es sich der Gewalt. Keinen Laut hatte Ima von sich gegeben, nicht einmal in die Mähne gepackt.
»Wo reitest du denn hin, Ima? Sag es mir doch.« Jedes Wort wog so schwer wie ein Satz, das spürte sie wohl. Sie sah ihn an, schenkte ihm mit dem letzten Tageslicht einen Blick, der ihm die Knie weich werden ließ, doch auf das, was aus ihrem Mund kam, war er nicht gefasst.
»Ich will einen feigen Mord verhindern, Gérard.«
»Einen Mord!« Er riss die Augen auf und trat näher. »Bist du närrisch, Ima? Ich glaube …«
»Hilfst du mir?« Gespannte Stille. Ihr schimmerndes Auge machte ihn fassungslos.
»Was für einen Mord, Ima?«
»Hilfst du mir, Gérard?« Ihr Blick ließ ihn bluten. »Hilf mir.«
»Ima …« Er hasste sich. Er hasste sein Entsetzen darüber, welche seltsame Entscheidung sie hier offensichtlich ganz allein getroffen hatte, und er hasste sein Zögern im entscheidenden Moment, seine mangelnde Entschlossenheit. Denn der Moment war schon vorüber. Ihre Hand berührte zärtlich seine schmutzige Wange, umfasste seinen Hals, wie nur sie das konnte - und im nächsten Augenblick stob das Pferd davon.
»Normannische Weiber sind anders«, bemerkte der Zerlumpte grinsend, ohne irgendetwas zu verstehen. Das Grinsen verflog, als Gérards Faust ihn ins Gesicht traf und er mit dem Hinterkopf in einem Schlammloch landete. Gleich darauf hing Gérard über ihm und schüttelte ihn. »Wo ist sie hin? Wo reitet sie hin? Mach’s Maul auf, sag mir, was du weißt! Ich bring dich um - rede!« Wieder traf seine Faust das zerfurchte Gesicht.
»Von mir erfährst du nichts«, schnappte der Zerlumpte und hielt sich den gesunden Arm zum Schutz vor das Gesicht. Gérard hielt mit den Schlägen inne. Er starrte ihn an. Eine armselige Kreatur, vom Krieg zerstört, für den Rest des Lebens unbrauchbar …
»Wie viel?«, fragte er rau. »Wie viel willst du?«
Eine unförmige Braue zuckte. Diese Sprache verstand der Zerlumpte.
Immer geradeaus am Wasser entlang , so hatte der Soldat ihr gesagt. Halte dich am Wasser, dann verlierst du den Weg nicht. Er wird dich geradewegs nach Limnaia führen. Sie hoffte einfach, dass er sie nicht angelogen hatte. Vorsichtshalber schickte sie noch ein Stoßgebet zu Gott, Er möge sie auf den richtigen Weg führen. Da das Pferd ruhig galoppierte, wurde das Gebet länger, das hielt sie auch davon ab, darüber nachzudenken, ob sie von Gérard enttäuscht sein sollte oder traurig oder wütend, weil er sie hatte ziehen lassen, ohne ihr seine Hilfe anzubieten. Hätte sie vielleicht länger auf eine Antwort warten sollen? Nein, Zauderer waren ihr zuwider. Sie trieb das Pferd an und vergaß, wo
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