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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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glaub ich Dir nicht.«
    »Stimmt.«
    »Also?«
    »Adler sind toll. Sie leben im Gebirge, schweben in der Höhe und sehen über die ganze Welt.«
    »So wie eine Seele?«
    »Vielleicht. Ja, ich meine, ja klar.«
    »Habt ihr se nich mehr alle?«, schaltete sich ein Fremder mit dem Namen Kick 47 ein.
    »Komm«, schrieb Seele, »wir gehen in einen privaten Chatroom. Da sind wir unter uns.«

    Von nun an chatteten sie jeden Tag stundenlang. Thorben erfuhr, dass sie auf das Goethe-Gymnasium in Wilmersdorf ging, in Charlottenburg wohnte, Schmusesänger, Balladen, historische Filme und Liebesromane liebte, lange braune Haare hatte und zwei tiefe Grübchen, wenn sie lachte. Sie hieß Arabella Weinert und hatte keine Geschwister und noch keinen Freund. Ihr Vater war freischaffender Fotograf, ihre Mutter arbeitete halbtags in einem Reisebüro.
    Sie schrieben sich alles. Über ihre Träume, ihre Sehnsüchte und ihre Ängste.
    Wenn sie nicht chatteten, wanderten E-Mails hin und her. Manchmal zehn am Tag. Arabella schickte ihm ihr Bild, und Thorben hatte das Gefühl, das schönste Mädchen der Welt rede nur mit ihm. Und er teilte mit ihr seine Gedanken.
    »Du - was ich dir sagen wollte
eigentlich nicht viel
völliger quatsch es schon wieder zu sagen
du - weißt du was
ich mag dich - nur so
und im moment - so doll
mehr ist eigentlich nicht
doch es musste raus
denn irgendwie - ist es viel
hoffentlich bleibt es so - zwischen uns
dann ist alles okay
das wichtigste ist doch
du bist da -
du ….«
    schrieb er ihr.

    Sein erstes Liebesgedicht. Er fühlte sich völlig ausgelaugt und trommelte auf den Schreibtisch, während er auf ihre Antwort wartete.
    Magda kam ins Zimmer. »Was ist los? Hast du irgendwas?«
    »Nein!«, schrie Thorben. »Nichts ist los! Gar nichts! Bitte geh! Ich kann jetzt nicht. Lass mich allein, bitte!«
    Magda stand stocksteif in der Tür und rührte sich nicht. Thorbens hektischer Blick und seine Übernervosität machten ihr Angst.
    »Kann ich dir irgendwie helfen?«, flüsterte sie.
    »Hau ab!«, brüllte Thorben. »Hau doch endlich ab!« Er war kurz davor, in Tränen auszubrechen, und malte mit der Computermaus wüste Kreise auf die Unterlage.
    Magda ging und schloss leise hinter sich die Tür. Das war nicht mehr normal. Er hatte keine Freunde, keine Freundin, ging nicht ins Kino, nicht in die Disco und nicht zum Sport. Er hockte nur in seinem Zimmer vor dem Bildschirm, vor dem Klavier oder mit seiner Gitarre in der Ecke und wurde langsam verrückt dabei.
    »Du bist ein Dichter!«, schrieb Arabella. »Dein Gedicht ist das Schönste, was ich in meinem ganzen Leben gelesen habe.« Und darunter setzte sie ihre Telefonnummer.
    Thorben hatte zuerst Angst zu telefonieren. Er fürchtete, sich zu versprechen, etwas Unüberlegtes zu sagen, was sie verärgern würde, nicht die richtigen Worte zu finden, zu stottern, und das Schlimmste: eine Pause entstehen zu lassen, die immer länger wurde, weil er nicht mehr wusste, wie er weiterreden solle.
    Aber all dies geschah nicht. Ihre Stimme klang für ihn wie Musik, und jedes Wort, das sie sagte, saugte er in sich
auf und war davon überzeugt, es nie mehr in seinem Leben zu vergessen.
    Wenige Tage später trafen sie sich zum ersten Mal. Thorben sagte seiner Mutter, er wolle mit einem Freund ins Kino gehen.
    Ein Strahlen ging über Magdas Gesicht. »Das ist ja prima. Was seht ihr euch denn an?«
    »Das wissen wir noch nicht. Wir treffen uns vor dem Kino-Center, und dann entscheiden wir, in welchen Film wir gehen.«
    »Und wann bist du zurück?«
    »Um acht. Oder besser um neun.«
    »Okay. Wenn es später wird, ruf bitte an.«
    »Mach ich.« Er grinste kurz und verließ die Wohnung.
    Magda hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass sich alles normalisieren und zum Guten wenden würde.

55
    Lukas hörte Magdas Schritte auf der Treppe. Erschrocken klappte er die Kiste mit den Briefen zu, schob sie schnell ins Regal, stellte das Bild davor und hatte sich gerade umgedreht, als Magda ins Zimmer kam.
    »Was machst du denn?«, fragte sie irritiert, weil er so überrascht und unbeholfen im Raum herumstand.
    »Gar nichts. Ich überlege.«
    »Was überlegst du?«
    »Ach, weißt du, das wollte ich noch mit dir besprechen, vielleicht sollten wir Aktien kaufen? Ich war gerade im Internet, Dax-Papiere wären im Moment günstig …«
    Magda unterbrach ihn. »Bitte, lass mich mit diesem Kram im Urlaub in Ruhe, ja? Darüber unterhalten wir uns, wenn wir wieder in Berlin sind.«
    »Wenn wir

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