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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Pferdes. Sie trug eine beigefarbene Hose mit Bügelfalte, die die ausladende Breite ihres Gesäßes überdeutlich machte, dazu einen lindgrünen dünnen Strickpullover, der sich nicht nur farblich überhaupt nicht mit der Hose vertrug, sondern auch das letzte Mal in den Siebzigerjahren modern gewesen
war. Um ihren Hals baumelte billiger, goldfarbener Modeschmuck. Ihre Füße steckten in braunen Halbschuhen, ideal für wochenlange Wanderungen, und Lukas schätzte ihre Schuhgröße auf mindestens dreiundvierzig. An ihrem linken Ringfinger wirkte ein wuchtiger Siegelring wie eine Waffe.
    Ihre dunkelblonden Haare waren stumpf, halblang, an der Seite gescheitelt und ansonsten sich selbst überlassen. Sie waren zu einer Außenwelle geföhnt, und hin und wieder klemmte Frau Doktor unbewusst ein paar Haare hinters Ohr.
    Obwohl sie bereits achtundfünfzig war, trug Mechthild Nienburg keine Brille. Ihre braunen Augen strahlten derartig viel Wärme und Güte aus, dass man ihre abschreckende Statur sofort vergaß. Und wenn sie lächelte, bildeten sich auf ihren Wangen tiefe Grübchen, die ihrem Gesichtsausdruck etwas Verschmitztes, Mädchenhaftes gaben.
    Lukas fasste sofort Vertrauen und erzählte Magdas Geschichte so detailliert wie möglich, aber er verschwieg ihr Johannes’ und Topos wahres Schicksal.
    »Mein Bruder hatte eine Geliebte«, sagte er, »seit vier Monaten etwa. Durch einen blöden Zufall kam Magda vor einigen Wochen dahinter. Es war eine Katastrophe für sie, denn sie war bereits als Kind durch eine ähnliche Geschichte traumatisiert worden.«
    »Was ist da passiert?«
    »Ihr Vater verunglückte zusammen mit seiner Freundin tödlich. Ich weiß nicht genau, wie alt sie war. Elf ungefähr.« Er atmete tief aus, was wie ein Stoßseufzer klang. »Na, jedenfalls konnte sie damit nicht umgehen und verlangte von Johannes eine klare Entscheidung: Sie oder die andere.«
    »Und?«

    »Ich weiß nicht, wie er sich entschieden hat. Ich weiß auch nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist, Magda hat mir nichts darüber erzählt. Jedenfalls sah es so aus, als wolle er zusammen mit Magda Urlaub machen. Eigentlich ein gutes Zeichen. Aber dann fuhr er bereits zwei Tage später nach Rom und tauchte nicht wieder auf.« Er beugte sich vor. »Ich nehme an, dass er die Reise als Vorwand genommen hat, um mit seiner Geliebten irgendwo ein neues Leben anzufangen. Das ist zwar nicht die feine Art und’ne ziemlich feige Tour - aber anders kann ich es mir nicht vorstellen.«
    »Ich denke auch«, meinte Frau Dr. Nienburg, »aber wo ist denn jetzt genau das Problem?«
    »Sie ist komplett verrückt geworden«, erwiderte Lukas. »Ich weiß, so was sagt sich leicht, und wir benutzen diesen Satz vollkommen unüberlegt für alle möglichen Kleinigkeiten, aber es ist mir ernst. Verdammt ernst. Ihr Mann ist für sie zurückgekehrt, und die Welt ist wieder in Ordnung. Ich bin jetzt Johannes für sie. Ich muss mich so anziehen und so verhalten wie er. Sie liebt mich und ist glücklich. Frau Dr. Nienburg, das ist so unvorstellbar, aber sie ist völlig davon überzeugt! Ja, spielt sie denn nun Theater, oder ist es wirklich möglich, dass sie vergessen hat, wie Johannes aussah und wie er war, sodass sie mich jetzt für meinen Bruder hält?«
    Frau Dr. Nienburg nickte. »Ja, das ist möglich. Sie hat es nicht vergessen, sie hat es verdrängt. Sie hat an ihrer Verdrängung so intensiv gearbeitet, dass sie alles glaubt, was sie sich immer und immer wieder eingeredet hat. Mittlerweile gibt es keine Erinnerungsspur mehr. Positive Erlebnisse hat sie wahrscheinlich konserviert, negative aus ihrem Gedächtnis verbannt. Falls sie negative, traumatische Erfahrungen
gemacht hat, sind diese jetzt aus ihrem Bewusstsein gelöscht. Für Ihre Schwägerin sind Sie nun ihr Mann, und falls man in dieses Geschehen nicht vehement eingreift, wird sich auch nichts daran ändern.«
    »Das ist ein Albtraum.«
    »Ja, das ist es. - Stört es Sie, wenn ich rauche?«
    »Nein, ganz und gar nicht.«
    Mechthild Nienburg trat hinter ihren Schreibtisch und zündete sich ein Zigarillo an. Dann stand sie eine Weile am Fenster und sah hinaus.
    »Wissen Sie, ich liebe Magda«, versuchte Lukas zu erklären. »Ich liebe sie, seit ich sie vor siebzehn Jahren zum ersten Mal gesehen habe. Meinen Bruder habe ich immer um sie beneidet, und auch wenn ich in all den Jahren andere Beziehungen hatte, war da nur Magda in meinen Träumen. Sie war irgendwie immer im Hintergrund, eine Art

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