Die Totengräberin - Roman
mittlerweile den See aufgewischt und ging ins Badezimmer, um den Lappen auszuspülen. Die Türen ließ sie offen.
»Darum auch nur die drei Tage«, sagte sie, als sie mit frischem Wasser wiederkam. »Aber die Rolle hat Fleisch. Ist nicht schlecht.«
»Wie viel?«
»Wie immer. Mehr ging nicht.«
Diese Chance hatte der Himmel geschickt. Vor allem die Drehzeit lag denkbar günstig, sie schloss genau an die Woche an, die er für Berlin eingeplant hatte. Er würde Magda erzählen, dass es in der Firma Schwierigkeiten gäbe und er noch eine Woche länger bleiben müsste.
»Okay. Alles klar. Danke, Anneliese.«
»Ich denke, du spielst nicht mehr«, meinte sie schnippisch und wischte die Plastikdecke mit klarem Wasser nach. Lukas bildete sich ein, dass der säuerliche Gestank abnahm.
»Ein paar Wochen kann ich nicht einplanen, aber ab und zu mal einen Drehtag schon.«
»Immer diese Extrawippchen«, knurrte Anneliese.
»Ach übrigens«, sagte Lukas und stand auf, »ich bin ab sofort nur noch über meine Handynummer erreichbar.«
»Warum das denn?«
»Ich ziehe um.«
»Ach du liebes bisschen«, kreischte Anneliese, »jetzt machst du den gleichen Blödsinn wie all die andern, die man in keinen Terminkalender eintragen kann, weil man sie alle vier Wochen wieder ausstreichen muss? Wo ziehste denn hin?«
»Nach Italien.«
Jetzt verstummte Anneliese. Dann sagte sie ruhig: »Wie praktisch, Kindchen. Von dort kann man sicher gut’ne Firma leiten und auch mal eben für’nen Drehtag antanzen.«
»Es gibt Flieger, und es gibt Internet. Alles kein Problem.«
Anneliese seufzte und wünschte sich in dieser Sekunde, noch mal dreißig Jahre jünger zu sein. Früher war irgendwie alles einfacher gewesen.
69
Liebster Schatz,
ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie sehr ich mich über Deinen Brief gefreut habe!
Du schreibst, dass Du jetzt eine Freundin hast und dass sie Arabella heißt. Schatz, das ist ja fantastisch!! Und was sie für einen hübschen Namen hat! Wahrscheinlich sieht sie genauso schön aus, wie sie heißt. Du musst mir mehr von ihr erzählen! Und vergiss nicht, ein Foto mitzubringen, wenn Du kommst. Wenn Du willst, kannst Du natürlich auch Arabella mit zu uns bringen. Das wäre doch wunderbar für Euch beide! Platz haben wir ja genug, Ihr könnt Euch aussuchen, wo Ihr schlafen wollt. In Deinem Zimmer? Im Gästezimmer? Meinetwegen auch auf der Galerie im Wohnzimmer? Oder fährt Arabella in den Ferien auch zu ihren Eltern? Wahrscheinlich, denn die wollen ihre Tochter ja auch mal um sich haben.
Aber wie auch immer, Du sollst wissen, dass Arabella bei uns immer herzlich willkommen ist!
Besonders froh macht mich, dass Du mir erzählt hast, dass Du verliebt bist, und kein Geheimnis daraus machst. Es gibt nicht viele Jugendliche in Deinem Alter, die ein solch inniges Vertrauensverhältnis zu ihren Eltern haben wie Du zu uns. Du lässt uns an Deinem Glück teilhaben, Thorben, und das weiß ich zu schätzen.
Jetzt ist es ja gar nicht mehr lange … Heute ist Dienstag, und am Sonntag sehen wir uns schon! Ich kann es gar nicht mehr erwarten!
Weißt Du, was das Größte ist? Ein wirklich komischer Zufall! Wenn Papas Flieger am Sonntag pünktlich ist, dann steigt er in Florenz genau in den Zug ein, in dem Du sitzt, und dann kommt Ihr beide hier zusammen um achtzehn Uhr zwanzig an. Na, das nenn’ ich Timing!
So, mein Lieber, pass auf Dich auf und grüße unbekannterweise Deine Arabella von mir!
Ich umarme Dich, mein Sohn,
Deine fröhliche und auf Dich wartende
Mama
70
Dr. Nienburg hatte die sanfte Stimme einer sehr jungen Frau, und Lukas glaubte fast, sich mit einer Siebzehnjährigen zu verabreden, als er telefonisch einen Termin mit ihr vereinbarte. Sie war die Mutter eines Kollegen, mit dem Lukas vor vier Jahren sechs Monate lang zusammen auf Tournee gewesen war.
Erichs Mutter war Psychotherapeutin, und als Lukas anrief und ihm sagte, dass er die Hilfe seiner Mutter bräuchte, zögerte dieser keinen Moment und bat seine Mutter, sofort einen Termin mit Lukas zu machen.
Als Lukas ihr dann gegenüberstand, versuchte er zu verbergen, wie irritiert und erschrocken er war.
»Nein, Sie haben nicht mit meiner Tochter telefoniert«, sagte sie lächelnd und führte ihn in ihr Arbeitszimmer, »ich bin es wirklich. Es ist mir durchaus bewusst, dass ich nicht so aussehe, wie sich meine Stimme anhört.«
Mechthild Nienburg war ausgesprochen hässlich. Mit knapp einem Meter neunzig hatte sie die Statur eines
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