Die Totengräberin - Roman
jemand anrief und ablenkte. Es war Frau Dr. Nienburg.
»Sind Sie gut in Italien angekommen?«, fragte sie.
»Ja. Sehr gut. Danke.«
»Ich hoffe, ich störe nicht …?«
»Nein. Überhaupt nicht.«
»Sie klingen nicht gerade fröhlich. Wie geht es denn so mit Ihrer Schwägerin?«
»Schlecht. Ganz schlecht. Wir hatten einen kleinen Streit, und die Situation ist irgendwie eskaliert. Jedenfalls …«, er zögerte, stand auf und entfernte sich ein bisschen weiter vom Haus weg, weil er Angst hatte, Magda könnte ihn hören,
»na, jedenfalls habe ich in der Hitze des Gefechts mit ihr Schluss gemacht. So wie Sie es mir geraten haben. Wegen einer anderen Frau, ohne Wenn und Aber. Ich weiß gar nicht mehr, wie es passiert ist, es kam so spontan, dass ich mich selbst erschrocken habe. Auf jeden Fall war es kein gut durchdachter Entschluss, und jetzt fühle ich mich hundsmiserabel.«
»Das ist klar. Aber Sie haben alles gut und richtig gemacht. Es ist der erste und wahrscheinlich auch der schwerste Schritt, aus diesem Dilemma herauszukommen.«
»Ich wünschte, ich könnte alles wieder rückgängig machen.«
»Tun Sie das nicht! Auf gar keinen Fall«, bat Dr. Nienburg so eindringlich, wie es am Telefon überhaupt möglich war. »Sie müssen jetzt da durch. Schieben Sie alle Zweifel weit von sich weg und bleiben Sie stark! Unbedingt! Sie dürfen jetzt nicht wieder einknicken!«
»Das sagt sich so leicht.«
»Ich weiß. Aber Sie schaffen das. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Hoffentlich«, sagte Lukas und wusste, dass er es nicht schaffen würde.
»Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass Sie meinen Rat so schnell beherzigen und in die Tat umsetzen würden, aber so macht mein Besuch in der Toskana natürlich noch mehr Sinn. Magda ist jetzt an einem ganz tiefen Punkt und steht allein da. Das ist ein guter Ansatz für eine Therapie.« Sie bekam einen Hustenanfall, und Lukas wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
»Aber weswegen ich anrufe, Herr Tillmann. Ich wollte nur noch ein paar Dinge klären. Haben Sie schon die Zeit gefunden, ein Hotelzimmer für mich zu reservieren?«
»Nein. Aber das mache ich morgen Vormittag. Im Albergo in Ambra. Da ist immer etwas frei. Auch in der Saison. Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist allerdings sehr einfach. Sonst wüsste ich nur noch ein anderes Hotel in der Nähe, aber das kostet vierhundert Euro die Nacht, und das ist mir ein bisschen zu teuer.«
»Kein Problem«, sagte Frau Dr. Nienburg, »wirklich, zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf, ich bin auch mit einem sehr einfachen Zimmer zufrieden. Ich möchte nur sicher sein, dass wirklich etwas für mich reserviert ist und ich morgen Abend nicht dumm auf der Straße stehe.«
»Das werden Sie nicht, das verspreche ich Ihnen.«
»Sie brauchen mich nicht vom Bahnhof abzuholen, ich nehme mir einen Mietwagen für die gesamte Zeit und komme dann am Montagvormittag direkt zu Ihnen nach La Roccia. Passt es Ihnen um zehn?«
»Ja, das ist wunderbar. Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich bin, denn ich habe das Gefühl, ich brauche Ihre Hilfe jetzt fast mehr als Magda. Ob ich allein mit dieser Situation klarkomme, weiß ich wirklich nicht.«
»Halten Sie durch bis übermorgen früh, dann reden wir über alles, ja?«
»Ja. Ich warte auf Sie. Soll ich Magda auf Ihren Besuch vorbereiten?«
»Das kann nicht schaden. Im Moment ist es vielleicht nicht ratsam, sie ständig zu überrumpeln. Sie darf den Boden nicht völlig unter den Füßen verlieren. Denn wir wollen sie ja aufbauen und nicht noch mehr verunsichern.«
»Gut, ich werde mit ihr reden.«
»Prima. Na, dann wünsche ich Ihnen alles Gute, und wir sehen uns Montag!«
»Danke, vielen Dank. Bis Montag!«
Lukas legte auf. Er sah, dass sein Handy dringend aufgeladen werden musste, und beschloss, jetzt ins Bett zu gehen und es über Nacht an die Steckdose zu hängen.
Als er ins Schlafzimmer kam, sah er, dass Magda fest schlief.
Lukas lag noch lange wach und hörte den Schrei des Käuzchens und das Rauschen des Windes in den Bäumen.
Während das erste fahle Licht des Morgens hinter den Hügeln heraufzog, war ihm klar, dass er den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Er wollte sie lieben und mit ihr leben. Sie hatte den Schmerz über den Verlust von Johannes verdrängt, aber diese momentane Bewusstseinsstörung war reparabel. Auf jeden Fall half er ihr nicht, wenn er ihr erneut einen ebenso großen Schmerz zufügte.
Er nahm sich vor, sie
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