Die Totengräberin - Roman
»Was bist du doch für ein gottverdammter Lügner.«
Lukas spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.
Magda sprach ruhig weiter. »Ich habe letzte Woche bei deinen Eltern angerufen, weil ich dich eigentlich mit deinem Lieblingskuchen überraschen wollte. Aber ich hab das
Rezept nicht mehr gefunden und wollte deine Mutter fragen, ob sie es mir schnell diktieren kann. Aber deine Mutter war beim Arzt. Ich habe nur ganz kurz mit deinem Vater gesprochen. Er hat mir erzählt, dass er die Firma bis auf Weiteres leitet.«
Was für eine Scheiße, dachte Lukas, dümmer hätte es nicht laufen können.
»Jetzt frage ich mich natürlich, was du in dieser Woche in Berlin noch unbedingt zu erledigen hattest? Einen Geschäftsführer hast du jedenfalls nicht gesucht, und dieser Herr Majewski ist reine Fantasie.« Sie lächelte kalt.
Lukas suchte in seinem Kopf verzweifelt nach einem plausiblen Grund, aber ihm fiel nichts ein. »Es war einfach noch so viel zu erledigen, Magda, tausend Kleinigkeiten …«
»Und mit Carolina hast du dich getroffen«, sagte sie ruhig. »Also doch. Also schon wieder.«
»Magda! Carolina ist tot!«
Magda hörte und registrierte nicht, was er gesagt hatte, und redete einfach weiter. »Du hast mich angelogen, weil du eine ganze Woche Zeit für sie haben wolltest. Ist es immer noch Carolina, oder schon wieder eine andere Frau?«
»Magda, es tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich angelogen habe, wirklich! Es war total bescheuert von mir, aber ich brauchte in Berlin einfach noch ein bisschen Zeit. Ich wollte nicht, dass du sauer wirst, ich hatte auch Angst, dass du das nicht verstehst, darum hab ich das mit dem Geschäftsführer erzählt. Es tut mir wirklich leid!«
»Warum tust du das immer wieder, Johannes? Warum machst du alles kaputt?«
»Es gibt keine andere Frau, Magda. Für mich gibt es nur dich. Niemanden sonst.«
»Du lügst ja schon wieder!« Ihre Stimme kippte. Sie sprang auf und schrie ihn an. Hoch und schrill. »Ich kann es nicht aushalten, ich schaffe es einfach nicht! Du betrügst mich, du verletzt mich, warum? Warum tust du mir das an? Sag es mir, Johannes, warum?«
Lukas schwieg und sah zu Boden. Er konnte ihren anklagenden Blick nicht ertragen.
»Du warst wieder bei ihr. Stimmt’s? Eine Woche lang. Nacht für Nacht. Hab ich recht? Warum gibst du es nicht einfach zu? Warum lügst du immer weiter? Das ist so erbärmlich, Johannes, so erniedrigend. Bedeute ich dir so wenig, dass du mir nicht die Wahrheit sagen und offen mit mir reden kannst?«
Lukas dachte daran, was Frau Dr. Nienburg gesagt hatte: Dann tun Sie jetzt das, was Ihr Bruder nicht gewagt hat. Sagen Sie ihr, dass Sie sich scheiden lassen wollen, weil Sie eine andere Frau kennengelernt haben, mit der Sie leben möchten. Klipp und klar. Ohne Wenn und Aber.
Er sah Magda unglücklich an, und dann tat er etwas Entscheidendes.
»Ja«, sagte er. »Du hast recht. Es gibt eine andere Frau. Ich habe mich nur nicht getraut, mit dir darüber zu reden.«
»Und in Berlin warst du mit ihr zusammen?« Magda war plötzlich weiß wie die Wand.
»Ja.«
»Mit Carolina?«
»Ja.« Er sagte einfach »ja«, weil es einfacher war. Magda wusste von Carolinas tödlichem Unfall offensichtlich nichts mehr. »Carolina« war eindeutig und bedurfte keiner weiteren Erklärungen.
Magda setzte sich. In ihren Augen schwammen Tränen. Als sie so dasaß, in sich zusammengesunken, kam sie ihm
zart und zerbrechlich vor, und er hätte sie am liebsten in den Arm genommen, aber jetzt war es passiert. Ohne zu überlegen und ohne es wirklich zu wollen, hatte er die Strategie von Frau Dr. Nienburg übernommen.
Es kam Lukas wie eine Ewigkeit vor, und keiner hatte den Mut und die Kraft, das Schweigen zu brechen.
Schließlich stand Magda auf und ging ins Haus.
Lukas saß unschlüssig auf der Terrasse. Was für ein verkorkster Samstagabend. Er wusste nicht, was er machen sollte, hatte keine Lust fernzusehen, und an Lesen war überhaupt nicht zu denken. Innerlich war er viel zu aufgewühlt, um sich auf irgendetwas konzentrieren zu können. Aus dem Schlafzimmer drang Magdas Schluchzen, er hörte es bis auf die Terrasse, und es zerriss ihm fast das Herz. Am liebsten wäre er zu ihr gegangen und hätte sich neben sie gelegt, aber er tat es nicht, weil er völlig durcheinander war. Er wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war.
In diesem Moment erklang die Melodie des »Paten«, und er empfand es fast als tröstlich, dass ihn in dieser Situation
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