Die Totengräberin - Roman
nichts weggeworfen. Was sie im Haus angehäuft hatte, war eine völlig unüberschaubare und unvorstellbare Menge. Topo war wütend über jede Sekunde, die er noch in Ambra verbringen musste. Er sehnte sich nach seiner kleinen, aber schmucken Wohnung in Florenz und hasste seine Mutter dafür, dass es ihr noch nach ihrem Tod gelungen war, ihn über längere Zeit an diesen Ort zu binden.
Als er die Treppe herunterkam und das Küchenfenster öffnete, hörte er keine Nationalhymne, auch die Espressomaschine zischte nicht, und kein »buongiorno, stronzo« ertönte.
Topo trat aus dem Haus, wo Beos Käfig vor dem Fenster mit offenem Türchen schaukelte. Er hatte die Käfigtür offen gelassen. Sollte Beo doch davonfliegen und sich ein neues Zuhause oder auch sein Futter und Wasser selber suchen. Bei einem zahmen Tier dürfte das ja wohl kein Problem sein. Es gab genug tierliebe Menschen in Ambra, die sich sicher gern eines Vogels angenommen hätten.
Aber Beo hatte seinen Käfig nicht verlassen.
Jetzt lag er tot auf dem Rücken, die Beine steif und gen Himmel gestreckt, die Augen weit offen, glanzlos und stumpf, und erinnerte Topo daran, wie seine Mutter dagelegen hatte.
Angewidert nahm er ihn aus dem Käfig, trug ihn in die Küche und warf ihn in den Mülleimer. Froh, nie wieder als »stronzo« begrüßt zu werden.
Nachdem er ein Glas Wasser und einen Kaffee getrunken hatte, schaltete er in seinem Zimmer seinen Laptop ein. Bis morgen früh musste er noch zwei Rezensionen schreiben. Die Bücher lagen seit zwei Wochen auf seinem Schreibtisch, bisher hatte er noch keine Sekunde hineingesehen. Jetzt hatte es sowieso keinen Sinn mehr, also würde er auf seine altbewährte Methode zurückgreifen.
Das erste Buch hieß »Heißer Sand« und war ein Abenteuerroman. Das Titelbild zeigte eine faszinierende Wüstenlandschaft im Abendsonnenlicht. Topo überflog den Klappentext auf der Rückseite des Buches. Zwei Paare, die Urlaub im Tschad machen, begegnen sich in einem Luxushotel und freunden sich an. Man beschließt eine mehrtägige gemeinsame Wüstentour. Aber nicht nur bei den Paaren untereinander gibt es Probleme. Als ihr Wüstenführer nach einem Schlangenbiss stirbt
und sie völlig orientierungslos in der Wüste umherirren, beginnt ein Abenteuer auf Leben und Tod.
Topo seufzte. Diese Themen hingen ihm zum Hals heraus. Also dachte er nicht lange nach, formulierte den Klappentext geringfügig um und schrieb dazu: Ein dünnes Geschichtchen braucht vielleicht den Tschad, um interessanter zu werden. Aber das hat in diesem Fall nicht funktioniert. Die Naivität der handelnden Personen, sich ohne Erfahrung, ohne Karte und ohne GPS in die Wüste zu begeben, wird eigentlich nur noch übertroffen von der Blödheit des Autors, solchen Schwachsinn zu schreiben. Die Personen sind in Klein-Lieschen-Manier einfältig gezeichnet, die Dialoge fad und beliebig. Eine bessere Lesekost als dieser Schinken findet sich sicher allemal.
Topo grinste und war sehr zufrieden. Diese paar Sätze hatten nicht länger als fünf Minuten gedauert. Er konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass es tatsächlich noch Kollegen gab, die die Bücher lasen, die sie besprachen. Natürlich konnte er Figuren und Dialoge nicht beurteilen, aber schließlich war seine Meinung Ansichtssache. Da konnte ihm keiner an den Karren fahren.
Er nahm das nächste Buch mit dem Titel: »23. April, 11 Uhr 45« von Maria Cecci zur Hand und las den Klappentext. Ein idyllischer Ort in den Marken. Ein warmer Frühlingsmorgen im April. Giovanni Santoni macht sich auf den Weg, um in seiner Heimatstadt ein Blutbad anzurichten. Ein spannender Thriller, der unter die Haut geht.
Ach du lieber Himmel, dachte Topo. Wer hat denn Lust, sich freiwillig mit so einem Spinner auseinanderzusetzen? Und er hackte in seinen Computer: Wie kommt es eigentlich, dass eine Schwarte dieser Art immer wieder in den Bestsellerlisten landet? Muss uns die Autorin wirklich mit ihrer Klein-Lieschen-Psychologie belästigen?
In diesem Moment fiel ihm auf, dass er auch in dieser zweiten Rezension schon wieder »Klein-Lieschen« geschrieben hatte, und er ersetzte es im ersten Text durch »langweilig«, sodass es jetzt hieß, »die Personen sind langweilig und einfältig gezeichnet«. Der Ausdruck »Klein-Lieschen« passte einfach zu gut zur Psychologie und zu einer Autorin, fand Topo. Er schrieb eine kurze Zusammenfassung, die keine Probleme bereitete, weil auf der zweiten Seite des Buches mehr über den Inhalt
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