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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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müssen wieder an die Arbeit, Sir Rowley. Falls der Teufel tatsächlich Arbeit für müßige Hände findet, dann würde er sich heute Abend vergeblich herbemühen.«
    Adelia gab ihrer Dankbarkeit Ausdruck. »Und darf ich morgen das Grab besuchen?«
    »Ich denke schon, ich denke schon. Ihr könntet auch unseren Master Doktor mitbringen. Von den vielen Sorgen hab ich eine Fistel bekommen, die mir das Sitzen erschwert.«
    Er sah zum Tor hinüber. »Was ist das für ein Tumult, Rowley?«
    Es waren rund zehn Männer, die angeführt von Roger aus Acton mit unterschiedlichen Gerätschaften wie Gartenforken und Aalmessern bewaffnet waren. In jedem von ihnen tobte eine fieberhafte Wut, die sich schon zu lange aufgestaut hatte, und als sie in den Garten gestürmt kamen, brüllten sie so laut durcheinander, dass es einen Augenblick dauerte, bis die Worte »Kindermörder« und »Jude« zu verstehen waren.
    Acton kam die Treppe herab und schwenkte in einer Hand eine Fackel und in der anderen eine Mistgabel. Er schrie: »Der Jude soll in der Grube versinken, die er gegraben hat, denn der Herr hat uns von diesem Schmutz erlöst. Wir sind gekommen, um ihn aus unserem angestammten Erbe zu vertreiben. O ihr Verräter, fürchtet den Namen des Herrn.« Spucke sprühte aus seinem Mund. Hinter ihm reckte ein dicker Mann ein gefährlich aussehendes Hackbeil in die Luft.
    Die anderen Männer verteilten sich, und er rief ihnen zu: »Findet das Grab, meine Brüder, damit wir unsere Wut an seinem Kadaver auslassen können. Denn es ist euch verheißen, wer die Heiden züchtigt, der soll nicht bestraft werden.«
    »Nein«, sagte Adelia. Sie waren gekommen, um ihn auszugraben. Sie waren gekommen, um Simon auszugraben.
»Nein.«
»Metze.« Acton hatte die Mistgabel auf sie gerichtet. »Du hast das sündige Lager mit dem Kindermörder geteilt, doch wir dulden diese Scham hinfort nimmermehr.«
    Einer der Männer stand jetzt unter dem Kirschbaum, winkte den anderen und schrie: »Hier, hier ist es.«
    Adelia wich Acton aus, sprang die Treppe hinunter und lief aufdas Grab zu. Was sie machen sollte, wenn sie dort ankam, fragte sie sich nicht – sie hatte nur den einen Gedanken: Sie musste diese Grässlichkeit verhindern.
    Sir Rowley Picot rannte ihr nach, dicht gefolgt von Mansur, dem wiederum Roger aus Acton auf den Fersen war, während die anderen Eindringlinge von allen Seiten herbeigelaufen kamen, um sie abzufangen. Sie alle prallten in einem krachenden, heulenden, schlagenden, hauenden, stechenden, trampelnden Knäuel aufeinander. Adelia wurde regelrecht überrollt.
    Eine derartige Brutalität war ihr fremd. Es war nicht der Schmerz, sondern vielmehr der atemlose Schock angesichts dieser jähen und wütenden Männerkraft. Ein Stiefeltritt brach ihr die Nase. Sie warf schützend die Hände über den Kopf, während die Welt über ihr in gezackte Scherben zerbrach. Irgendwo erhob sich eine ruhige und gebieterische Stimme – die des Priors.
    Eine nach der anderen verschwanden die Scherben wieder. Übrig blieb ein Nichts. Dann war wieder etwas da, und sie kam unsicher auf die Beine und sah flüchtende Gestalten, während Rowley Picot auf dem Boden lag, blutüberströmt, die Klinge eines Hackbeils tief in der Leiste vergraben.

Kapitel Zwölf
    B in ich tot?«, erkundigte sich Sir Rowley bei niemand Speziellem.
    »Nein«, antwortete Adelia.
    Eine schwache, blasse Hand tastete suchend unter der Bettdecke. Ein gequälter Aufschrei ertönte: »O Gott, wo ist mein Schwanz?«
    »Falls Ihr Euren Penis meint, der ist noch da. Unter den Verbänden.«
    »Oh.« Die eingesunkenen Augen öffneten sich. »Ist er unbeschädigt?«
    »Ich bin sicher«, sagte Adelia deutlich, »dass er in jeder Hinsicht zufrieden stellend arbeiten wird.«
    »Oh.«
    Durch den kurzen Wortwechsel beruhigt, obwohl er ihn gar nicht richtig registriert hatte, schlief er wieder ein.
    Adelia beugte sich vor und zog die Decke glatt. »Aber es war verdammt knapp«, sagte sie leise zu ihm. Fast hätte er nicht nur sein
membrum virile
verloren, sondern sein Leben. Das Beil hatte die Arterie durchtrennt, und während er in die Burg getragen wurde, hatte Adelia eine Faust auf die Wunde legen müssen, damit er nicht verblutete, ehe sie Lady Baldwins Stickzeug nutzen konnte – und selbst dabei hatte ihr das pumpende Blut die Sicht geraubt. Im Gegensatz zu den ängstlichen Umstehenden wusste sie, dass es reine Glückssache war, ob sie die Stiche an die richtige Stelle setzte oder nicht.
    Doch das war

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