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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Rowleys Fieber, als Adelia sich geweigert hatte, der Haushälterin ihren Platz an seinem Bett zu überlassen, hatte Gyltha gesagt: »Du kannst ihn ja lieben, aber wenn du umkippst, hilft ihm das auch nich.«
    »Ihn lieben?«, entfuhr es ihr kreischend. »Ich versorge einen Patienten. Er ist nicht … Ach, Gyltha, was soll ich nur machen? Er ist doch überhaupt kein Mann nach meinem Geschmack.«
    »Geschmack hat ja nun gar nix damit zu tun«, hatte Gyltha seufzend geantwortet.
    Und tatsächlich musste Adelia zugeben, dass es keine Frage des Geschmacks war.
    Zugegeben, es sprach vieles für ihn. Sein Eintreten für die Juden hattegezeigt, dass er stets bereit war, die Schutzlosen zu schützen. Er war lustig, er brachte sie zum Lachen. Und im Fieberwahn hatte er wieder und wieder die Sanddüne gesehen, wo der gemarterte Körper eines Kindes lag – und dieselbe Schuld, dieselbe Trauer empfunden. Im Geist hatte er den Mörder durch ein Delirium hindurch verfolgt, das ebenso heiß und schrecklich war wie der Wüstensand, bis Adelia ihm schließlich ein Opiat einflößte, aus Angst, er würde seinen geschwächten Körper überanstrengen.
    Aber es sprach auch vieles gegen ihn. In demselben Fieber hatte er von Fleischeswonnen mit den Frauen geredet, die er gekannt hatte, und dabei häufig ihre Attribute mit den Speisen verwechselt, die er im Osten genossen hatte. Die kleine, schlanke Sagheerah, zart wie eine Spargelstange, Samina, deren Üppigkeit für ein mehrgängiges Mahl ausreichte, Abda, schwarz und schön wie Kaviar. Es war weniger eine Liste als vielmehr ein Menü gewesen. Und was Zabidah betraf … nun, durch den Einfallsreichtum dieser akrobatischen und recht uneigennützigen Frau war Adelias spärliches Wissen darüber, was Männer und Frauen gemeinsam im Bett trieben, mit schockiertem Erstaunen erweitert worden.
    Beängstigender war hingegen die Erkenntnis, wie sehr er von Ehrgeiz getrieben wurde. Während Adelia seinen Fantasiegesprächen mit einer unsichtbaren Person lauschte, hatte sie zunächst irrtümlich angenommen, dass sich das häufige »Mylord« an seinen himmlischen König richtete – bis sie begriff, dass er Henry II meinte. Das zwanghafte Verlangen, Rakshasa zu finden und zu bestrafen, war eine glückliche Allianz mit seinem Dienst für den König von England eingegangen. Falls es ihm gelang, Henry von dem Ärgernis zu befreien, das seiner Staatskasse die Einnahmen der Juden in Cambridge vorenthielt, konnte Rowley mit königlicher Dankbarkeit rechnen.
    Und mit einem Titel. »Baron oder Bischof?«, fragte er in seinem Wahn und umklammerte Adelias Hand, die ihn beruhigen wollte, als läge die Entscheidung bei ihr. »Bistum oder Baronie?«
    Die verlockende Aussicht darauf steigerte meist seine Erregung – »es bewegt sich nicht, ich kann’s nicht bewegen« –, als wäre der Wagen, den er an den königlichen Stern gehängt hatte, zu schwer, um ihn von der Stelle zu bekommen.
    So also war der Mann. Zweifellos mutig und mitfühlend, aber auch ein verfressener, gerissener Frauenheld, der danach gierte, seinen Status zu verbessern. Unvollkommen, zügellos. Kein Mann, von dem Adelia gedacht hätte, dass sie ihn lieben wollte oder könnte.
    Aber dennoch liebte.
    Als dieser leidende Kopf sich auf dem Kissen zu ihr wandte, den Hals entblößte und flehentlich nach ihr verlangte – »Doktor, seid Ihr da? Adelia?« –, waren seine Sünden ebenso dahingeschmolzen wie ihr Herz.
    Wie Gyltha gesagt hatte – ob er ein Mann nach ihrem Geschmack war, hatte damit rein gar nichts zu tun.
    Aber es
musste
doch eine Rolle spielen. Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar hatte eigene Ziele. Es ging ihr nicht um Ansehen oder Reichtum, sondern darum, der besonderen Gabe zu dienen, mit der sie beschenkt war. Denn es war eine Gabe, und damit einher ging die Verpflichtung, nicht Leben zu gebären wie andere Frauen, sondern mehr über die Naturgesetze des Körpers zu erfahren, um Leben zu retten.
    Sie hatte immer gewusst, dass die romantische Liebe nicht für sie bestimmt war. In dieser Hinsicht war sie ebenso an Keuschheit gebunden wie eine Nonne, die mit Gott verheiratet war. In der Medizinschule von Salerno hatte sie sich gut vorstellen können, ihr keusches Leben ungestört bis in ein stilles, nützliches und geachtetes Greisenalter fortzusetzen, mit einemSchuss Verachtung – wie sie zugab – für Frauen, die sich wilden Leidenschaften hingaben.
    Jetzt, in diesem Turmzimmer, machte sie ihrem früheren Ich schlichte,

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