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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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nichtzuletzt auch auf den kleinen Jungen, der da mit finsterer Miene im Schilf der Cam auf einem umgedrehten Eimer saß und eine selbst gemachte Angel in den schmuddeligen Händen hielt.
    »Steh auf«, sagte sie zu ihm. »Eine Lady möchte sitzen.«
    Widerwillig gehorchte er, und sie nahm seinen Platz ein. Den vielen Forellen nach zu urteilen, die im Fischkorb zappelten, hatte Ulf eine gute Stelle gewählt. Er angelte nicht direkt an der Cam, sondern an einem Bach, der irgendwo im Schilf entsprang und durch das Schwemmsandgebiet floss, wo er schließlich einen recht großen Kanal bildete, ehe er den Fluss erreichte.
    Im Vergleich zum King’s Ditch auf der anderen Seite der Stadt, einem stinkenden und überwiegend stehenden Teich, der einst dazu gedient hatte, den Angriff der Dänen abzuwehren, war die Cam selbst sauber, doch Adelia war anspruchsvoll, und obwohl sie freitags gelegentlich Fisch aß, war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, dass er aus einem Fluss stammte, in den auf seinem gewundenen Weg durch die südlichen Dörfer von Cambridgeshire menschlicher und tierischer Unrat strömte.
    Sie war froh, dass Ulf an Quellwasser angelte. Eine Weile saß sie schweigend neben ihm und beobachtete die schlängelnden Fische, so klar, als schwämmen sie durch Luft. Libellen blitzten wie Edelsteine im Schilf.
    »Wie geht’s Rowley, dem Dickerchen?« Es war hämisch gemeint.
    »Besser, und sei nicht so gemein.«
    Er schnaubte und angelte weiter.
    »Was für Würmer nimmst du?«, erkundigte sie sich höflich.
    »Die Fische beißen gut.«
    »Ha!« Er spuckte aus. »Wart mal ab, wenn das Gericht die Ersten aufgehängt hat, dann gibt’s Würmer, da sind die Fische ganz wild drauf.«
    Unklugerweise fragte sie nach: »Was hat das damit zu tun, dass Leute aufgehängt werden?«
    »Die besten Würmer gibt’s unter ’nem Galgen, an dem ein Halbverwester hängt. Ich dachte, das weiß jeder. Bei so Galgenwürmern beißt jeder Fisch an. Hast du das nich gewusst?«
    Hatte sie nicht, und sie hätte auch gut drauf verzichten können. Er wollte sie bestrafen.
    »Du wirst mit mir reden müssen«, sagte sie. »Master Simon ist tot, Sir Rowley schwer verletzt. Ich brauche jemanden, der denken kann und der mir hilft, den Mörder zu finden – und du bist ein Denker, Ulf, das weiß ich.«
    »Worauf du einen lassen kannst.«
    »Und sprich nicht so ordinär.«
    Wieder Schweigen.
    Er benutzte einen Schwimmer, eine eigentümliche Konstruktion, die er sich selbst ausgedacht hatte: die Angelschnur führte durch eine große Vogelfeder, so dass der Köder und die winzigen Eisenhaken an der Wasseroberfläche blieben.
    »Ich habe dich vermisst«, sagte sie.
    »Ha.« Wenn sie glaubte, dass ihn das versöhnlich stimmen würde … Aber nach einer Weile sagte er: »Glaubst du, er hat Master Simon ertränkt?«
    »Ich weiß es.«
    Wieder biss eine Forelle an, wurde vom Haken gelöst und in den Fischkorb geworfen. »Der Fluss ist es«, sagte er.
    »Wie meinst du das?« Adelia setzte sich auf.
    Zum ersten Mal sah er sie an. Das kleine Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten. »Der Fluss ist es. Der holt sie sich. Ich hab mich umgehört …«
    »Nein.«
Sie schrie es beinahe. »Ulf, untersteh dich … das darfst du nicht, das darfst du nicht tun. Simon hat auch Fragen gestellt. Versprich es mir, bitte.«
    Er blickte sie herablassend an. »Ich hab bloß ein bisschen mit den Verwandten geredet. Ist doch wohl nich schlimm, oder? Meinst du etwa, er hat davon was mitgekriegt? Sich in ’ne Krähe verwandelt und auf Bäumen gehockt und gelauscht?«
    Eine Krähe. Adelia fröstelte. »Ich würd’s ihm zutrauen.«
    »Das ist doch Quatsch. Willst du’s nun hören oder nich?«
    »Ich will’s hören.«
    Er holte die Schnur ein, löste sie geschickt von Angel und Schwimmer, verstaute alles in einem Weidenkorb und setzte sich im Schneidersitz Adelia gegenüber, wie ein kleiner Buddha, der die Erleuchtung bringen will.
    »Peter, Harold, Mary, Ulric«, sagte er. »Ich hab mit ihren Verwandten geredet, denen bis jetzt anscheinend noch keiner zugehört hat. Jeder von ihnen, jeder von ihnen, wurde zuletzt an der Cam gesehen oder auf dem Weg dahin.«
    Ulf hielt einen Finger hoch. »Peter? Am Fluss.« Er hielt den nächsten hoch. »Mary? Sie war die Jüngste von Jimmer, dem Vogeljäger – die Nichte vom Jäger Hugh – und wo wurde sie zuletzt gesehen? Wie sie ihrem Pa nachmittags was zu essen bringen wollte, im Riedgras drüben auf dem Weg nach Trumpington.«
    Ulf hielt

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