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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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von einem Widder, den Gott angeblich als Blutopfer forderte. In der Predigt sprach sie von dem Gehörnten, dem leibhaftigen Bösen, als wollte sie eine drohende Apokalypse ankündigen.
    »Seit wann predigt Ihre Mutter?« Leon betrachtete die feinen Löckchen, die sich an ihrem Nacken kräuselten. Die Kapuze ihrer Regenjacke lag wie ein geknubbelter Stoffhaufen darunter. Er musste lächeln.
    »Schon immer«, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen. »Sie meint, meine Geburt hätte sie daran gehindert, in einen Orden einzutreten.«
    Ihr mürrischer Tonfall ließ darauf schließen, dass sie sich nicht gern mit Fragen zu ihrer Mutter befasste.
    »Na ja, Ihrer Geburt dürfte ja noch etwas Maßgebliches vorangegangen sein. Oder sind Nonnen heutzutage nicht mehr jungfräulich?«
    Er beschleunigte seinen Schritt, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Ein feines Lächeln zog sich über ihre Mundwinkel, während sie ihn unter dem Rand ihres Käppis anblinzelte. Es freute ihn, sie mit einer kleinen Witzelei aufgeheitert zu haben.
    Sie steuerte auf das ans Haus grenzende Garagentor zu und zog es auf, wobei die Scharniere laut quietschten. Leon zog eine Miene, weil das Geräusch ein unangenehmes Ziehen in seinem Zahnfleisch verursachte. Hier war dringend eine Schmierung nötig!
    Zoe kramte im staubigen Halbdunkel aus abgelegten Gegenständen des Hausgebrauchs herum. »Ich nehme vorsichtshalber eine Taschenlampe mit. Sie muss doch hier irgendwo sein …«
    Währenddessen blickte Leon sich um. Am Garageneingang lehnte ein Damen-Hollandrad mit Weidenkörbchen am Lenkrad. Im Gegensatz zu den meisten anderen Dingen war es frei von Spinnweben oder Staub, schien also noch benutzt zu werden. Allerdings erinnerte der Allgemeinzustand des etwas in die Jahre gekommen Rades eher an das BMX eines Halbwüchsigen, mit dem kürzlich eine wilde Rallye unternommen worden war. Der untere Rahmenteil war schlammbespritzt, die Profile der Räder angefüllt von getrockneten Lehmresten.
    »Ganz schön sportlich!«, äußerte Leon.
    »Mmh?« Zoe suchte gerade ein Regal in der Ecke ab.
    »Ihre Fahrradtouren.«
    »Was, meine?« Mit der Taschenlampe in der Hand wandte sie sich um. »Fahrradfahren? Nie im Leben!« Sie ging mit gerunzelter Stirn an ihm vorbei. »Das Thema war bei mir durch, sobald ich den Führerschein hatte. Bei den Strecken, die man hier zurücklegen muss, fiebert jeder seinem ersten Auto entgegen, das können Sie mir glauben!«

    Nach einer halbstündigen Autofahrt endete die Landstraße so abrupt vor einer grünen Wand aus Bäumen, dass Leon scharf bremsen musste. Ein Verkehrsschild, das auf eine Sackgasse hindeutete, musste er wohl übersehen haben. Unmittelbar an den Asphalt grenzte der Wald und schien sich aus diesem Blickwinkel unübersehbar weit zu erstrecken.
    »Von hier aus geht es zu Fuß weiter«, verkündete Zoe und griff nach ihrem Rucksack.
    »Wow, hatten die Straßenbauer keine Lust mehr, weiterzuarbeiten?« Leon legte den Rückwärtsgang ein, um den Wagen etwas abseits auf dem Grünstreifen zu parken.
    »Die ganze Fläche wurde damals kurzfristig zum Naturschutzgebiet erklärt. Der Bau der Straße wurde abgebrochen und alles einfach so belassen«, erklärte sie.
    Während Leon sein Schulterholster anlegte und die gesicherte Dienstwaffe verstaute, sah er zu dem dichten Grün hinüber. »Ziemlich weiter Schulweg, den Ihr Freund täglich auf sich nehmen muss.«
    »Josh ist nicht so ein Freund, wie Sie denken.« Sie warf ihm einen genervten Blick zu.
    »Kein Grund, sauer zu werden. So war es nicht gemeint«, erwiderte Leon verwundert. Anscheinend schätzte sie es nicht, wenn man ihr und Josh Ziller mehr als bloße Freundschaft andichtete.
    Den Großteil der Fahrt hatten sie schweigend zurückgelegt. Leon konnte Zoe Lenz’ Anspannung deutlich spüren. Immer wieder war sein Blick zu ihr hinübergeschweift, um ihr halb abgewandtes Profil zu bewundern. Nachdenklich hatte sie gewirkt, aber auch gefasst. Bei manchen Radiosongs hatte sie mit den Fingern den Takt auf ihrem Oberschenkel geklopft, anscheinend, ohne es zu bemerken. Durch den Fußmarsch schien sich ihre Stimmung zu heben. Mit strammen Schritten marschierte sie vor ihm her, überwand mit beinahe tänzerisch anmutenden Bewegungen umgefallene Baumstämme. Zwischendurch warf sie immer wieder einen Blick über die Schulter, um zu prüfen, ob er ihr noch folgte. Ihre geröteten Wangen und das angedeutete Lächeln wirkten ansteckend auf Leon.
    Er atmete tief die frische Luft ein und

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