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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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regnete, obwohl es unüberhörbar war: Der Regen rauschte herab. In der Nähe knackte es im Gehölz. Vermutlich war ein schwerer Ast den durchnässten Hang heruntergerutscht. Ein unbestimmtes Gefühl verriet ihr, dass die Sprache gleich auf sie kommen würde.
    »Ich weiß von der Sache damals«, begann Strater vorsichtig.
    Zoes Rücken versteifte sich. Seine Worte trafen eine wunde Stelle. Der bemüht nachsichtige Tonfall entzündete eine Flamme des Zorns in ihr. Wie sie das hasste! Natürlich wusste er davon! Er war Polizist und hatte ganz Birkheim ausgefragt. Mit zusammengepressten Lippen schloss sie genervt die Augen. Sie wollte nichts von all den scheinheiligen Mitleidsbekundungen und an den Haaren herbeigezogenen Verdächtigungen hören. Nicht von ihm.
    Plötzlich fühlte Zoe sich vom Schicksal genarrt, zurückgeworfen in eine Zeit, an die sie sich nicht gern erinnerte. Sie hatte die Vergangenheit eigentlich gut im Griff. Boris’ Leiche auf ihrem Tisch – damit konnte sie umgehen, weil sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte. Aber von einem Fremden, ob Polizist oder nicht, erneut mit der Tat von damals konfrontiert zu werden, drohte, ein emotionales Chaos auszulösen.
    Hinter sich nahm sie seine Bewegung wahr.
    »Josh hat damals Zivilcourage bewiesen, was durchaus lobenswert ist. Sie sind Freunde, doch ich habe den Eindruck, er ist Ihnen ergebener, als Sie glauben.«
    »Das sind doch nur Vermutungen!«, rief Zoe aufgebracht aus. Abrupt fuhr sie herum und funkelte Leon an.
    »Oder objektive Beobachtungen«, entgegnete er mit fester Stimme. Er musterte sie und runzelte die Stirn.
    »Klar, und jeder, der mich kennt, läuft gleich los und tötet meine Scheißpeiniger!«
    Entsetzt hielt Zoe inne. Der Ausbruch war unerwartet heftig. Noch nie hatte sie derart hasserfüllt über Boris gesprochen. Gefühlt hatte sie die unterschwellige Verbitterung immer.
    Strater machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich zurück.
    »Nein, aber manchmal merkt man nicht, wenn jemand einem nahesteht und schon gar nicht, wie derjenige tickt.« Ein Schatten zog über seine Miene.
    Zoe schnappte nach Luft. »Das ist doch … pffh!« Ihr fehlten die Worte, während sie versuchte, seinem Blick standzuhalten. Seine Augen schienen jeden Winkel ihres Gesichts zu scannen.
    »Dieser Fall wird aufgeklärt. Egal, wie schwer es ist, ein Geheimnis aufzudecken, es ist noch viel schwerer, eines zu wahren.«
    »Wem sagen Sie das!«, sagte Zoe mehr zu sich selbst.
    Der junge Mann kam langsam auf sie zu. Es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Die Atmosphäre veränderte sich deutlich. Die feuchtwarme Luft schien sich aufzuladen. Er stand so nah vor ihr, dass sie seinen Atem spürte. Die Wand im Rücken vereitelte jede Flucht. Wobei sie nicht einmal sicher war, ob sie überhaupt weglaufen wollte. Ihr Herz klopfte.
    »Wenn Sie mich weiter so angucken, erstarre ich gleich zur Salzsäule, und Sie stehen vor dem Problem, mich abtransportieren lassen zu müssen.« Mit einem Zwinkern versuchte Leon, die Situation aufzulockern.
    Regen prasselte lautstark auf das undichte Holzdach. Wasserspritzer benetzten Zoes Wange. Dennoch bot der Schauer keine Abkühlung. Sie schwitzte unter ihrer Jacke, besonders an der Stelle, wo Strater nun seinen Arm um ihre Taille legte. Der kurze Impuls, auszuweichen und wegzulaufen, fiel ihren puddingweichen Knien zum Opfer. Langsam näherte sein Gesicht sich dem ihren. In rascher Abfolge flogen seine Blicke über sie hinweg, als wollte er sich etwas einprägen, das nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar war, bevor es auf ewig verschwand. Eines seiner Augen schien sich nicht ganz dem Rhythmus anpassen zu wollen und hinkte anrührend hinterher. Dieser Silberblick gab ihr das Gefühl, auf ganz besondere Weise angesehen zu werden. Sie lächelte kurz, und ihr Atem beschleunigte sich.
    Winzige elektrische Stöße durchfuhren Zoe, als Leons Lippen die ihren trafen. Zunächst vorsichtig tastend, als wollte er ihre Reaktion abwarten. Doch Zoe war nicht in der Lage, zu reagieren. Ihre Vernunft war ausgeschaltet. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. In ihrem Kopf löste ein Schwindel den nächsten ab. Das Einzige, was funktionierte, war ihr Instinkt. Ihre Hand legte sich ohne ihr Zutun auf seine Schulter. Er zog sie näher an sich. Zoe schloss die Augen und erwiderte seinen Kuss. Sie fiel in ein Meer aus Watte und hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Welt auf einmal stehen geblieben wäre. Leons leises Seufzen berührte ihr

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