Die Totensammler
Unkenntlichkeit verwest. »Sie hängt an meinem Dach«, sage ich, gehe in die Hocke und übergebe mich am Rand der Terrasse auf den Rasen.
Kapitel 42
Inzwischen geht es Adrian besser. Seine Haut hat ganz aufgehört zu jucken, stattdessen fühlt sie sich kühl an, er ist entspannt und völlig ruhig. Es war eine neue Erfahrung, das Mädchen auszugraben, und wesentlich befriedigender als alles, was er bisher getan hat. Auf die ganze Schweinerei und den Gestank hätte er zwar verzichten können, aber das Ausbuddeln von Katzen ist absolute Kinderkacke verglichen mit dem Ausgraben und Aufhängen eines toten Mädchens.
Wie das Benutzen der Bankkarte im Drive-In bringt ihn das in seiner persönlichen Entwicklung wieder ein Stück weiter. Hervorgerufen durch ein Bedürfnis, das er bisher an sich nicht kannte. Der Anblick der Leute vor dem Gebäude in Grover Hills hat in seinem Innern etwas ausgelöst, etwas, das Cooper als Furor bezeichnen würde, und Adrian hat genau gewusst, dass dieses Gefühl wieder verschwinden würde, wenn er das Mädchen ausgraben und an Tates Dach hängen würde.
Jedes Mal wenn er im Schreizimmer eingesperrt war, ihm das Blut an den Oberschenkeln runterlief und sein von den Betonsteinen aufgeschürftes Gesicht brannte, wanderten seine Gedanken von dem kalten Raum zu den Jungs, die ihm als Kind so wehgetan hatten, und in seine Fantasie brachte er sie um, so wie seine Freunde aus der Anstalt andere Menschen getötet hatten. Das Ausgraben der Haustiere war reine Zeitverschwendung. Das ist ihm jetzt klar, das hat er jetzt begriffen. Schon damals hätte er die Jungs, die ihn verprügelt haben, töten und aufhängen sollen, damit ihre Eltern sie finden.
Er ist erneut in Tates Viertel gefahren, und das machte ihn nervös. Auf dem Weg hierher hat er in jedem Wagen ein Polizeiauto vermutet und bereut, dass er ihr Fahrzeug genommen hat te. Er hätte den Wagen behalten sollen, den er als Erstes hatte – nach dem sucht die Polizei bestimmt nicht. Es ist zwar nicht ungewöhnlich, bei diesem Wetter ohne Hemd herumzulaufen, aber dabei ein totes Mädchen auf dem Arm zu haben, schon. Darum hat er vor dem Haus gehalten und sie durch das Seitentor in den Garten getragen. Das andere Mädchen, das Mädchen, das noch am Leben war, war immer noch bewusstlos.
Anschließend ist er mit dem Wagen zum Ende des Blocks und weiter um die Ecke gefahren und dann zurückgelaufen. Nachdem er das Mädchen aufgehängt hatte, hat er sich hinter Tates Garage auf die Lauer gelegt, um auf seine Reaktion zu warten. Von seinem Blickwinkel aus kann er ihn zwar nicht sehen, aber er kann ihn hören, kann hören, wie er telefoniert. Dann ist es plötzlich still, und es ertönt ein Würgegeräusch. Adrian wird davon schlecht, und für einen schrecklichen Moment glaubt er, dass er sich ebenfalls übergeben muss. Er atmet tief ein und hält die Luft an, und schon geht es ihm besser.
Er geht um die Garage und weiter hinter dem Haus entlang, wo er sich gegen die Wand lehnt. Aus dem Esszimmer und dem Küchenfenster fällt Licht auf die Rasenfläche neben ihm. Er kann das Grab der Katze erkennen, aus dem er sie ausgebuddelt hat und in dem sie offensichtlich wieder beerdigt wurde. Er erreicht die nächste Hausecke. Tate hockt neben der Terrasse, das Telefon immer noch in der Hand. Adrian kann die Person am anderen Ende hören, eine blecherne Stimme, die Tate immer wieder fragt, was los ist.
Er ist sich absolut sicher, dass er nicht das geringste Geräusch gemacht hat, trotzdem beschleicht ihn das Gefühl, dass Tate ihn bemerkt hat. Es entsteht eine Pause – nicht länger als eine Sekunde, doch sie kommt ihm wie eine Minute vor –, in der sie beide die Luft anhalten. Tate hat Kotze am Kinn, und sein Gesicht ist schweißgebadet, das Wohnzimmerlicht spiegelt sich darin, in der einen Hand hält er das Telefon und in der anderen …
»Nein«, sagt Adrian, und er hat das Wort kaum ausgesprochen, als auch schon die Pistole auf ihn gerichtet ist. Außer in Filmen hat er noch nie eine gesehen. Er dachte, Cooper hätte eine, oder die Zwillinge, aber dem war nicht so. Adrian drückt den Abzug seiner eigenen Pistole – keine richtige, sie sieht nur so aus –, und die beiden Haken schießen aus dem Elektroschocker und treffen Tate am Brustkorb. Sein Körper zieht sich zusammen, und aus der Waffe löst sich ein Schuss; es gibt einen lauten Knall, und unmittelbar darauf schlägt eine Kugel splitternd in den Holzzaun hinter ihm ein.
Der Elektroschocker
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