Die Totensammler
ohrenbetäubendem Lärm. Er taumelt zur Seite und verliert dabei einen seiner Zehen, der andere hängt gerade noch dran. Sein Fuß kann sein Gewicht nicht länger tragen, er knickt um und stolpert über den Eimer, knallt gegen die Kommode und sackt zu Boden. Seine nackten Füße werden nass, und der Elektroschocker landet in seinem Schoß. Er greift nach der Sicherheitsnadel, holt tief Luft und zupft daran. Er spürt, wie sein ganzer Augapfel nach vorne gezogen wird, und die Schmerzen sind so heftig, dass er loslässt. Die Nadel scheint unwirklich lang und tief in seinem Gehirn zu stecken. Er öffnet das unverletzte Auge und muss es mit den Fingern aufhalten, damit es sich nicht wieder schließt. An der Nadel läuft Flüssigkeit herunter und tropft auf seine Wange. Er lässt seinen Blick durchs Zimmer wandern, er ist jetzt allein. Erneut greift er nach der Sicherheitsnadel, legt die Pistole beiseite, drückt mit der anderen Hand gegen das Auge, damit es sich nicht bewegt, beißt die Zähne zusammen und zieht, so fest er kann.
Kapitel 53
Der Wecker klingelt, und als ich zu mir komme, bin ich noch müder als vorher. So habe ich mich letztes Jahr gefühlt, als ich jeden Morgen mit einem Kater aufgewacht bin. Monatelang habe ich versucht, die Erinnerungen an die schlimmen Dinge, die ich getan hatte, mit Alkohol zu betäuben, bis ich mit Emma Greens Wagen zusammengestoßen bin und endgültig nüch tern blieb. Ein paar Tassen Kaffee bringen mich wieder auf Trab. Ich dusche kalt und trinke einen weiteren Kaffee, dann bezahle ich beim Motelangestellten mein Zimmer; es ist jemand anderes als vor zwei Stunden.
Über die Straßen rollt der frühmorgendliche Wochenendverkehr. Die meisten Insassen lassen einen Arm aus dem heruntergelassenen Fenster baumeln, manche mit einer qualmenden Zigarette zwischen den Fingern. So früh am Morgen lässt sich nicht sagen, ob es heute kühler als gestern wird. Ich denke an Buttons und an das, was er über die Gerüchte in einer Nervenklinik gesagt hat, und frage mich, wie viel von dem, was er mir gestern Nacht erzählt hat, wahr ist. Ich hoffe, dass es Jesse Cartman heute Morgen besser geht, dass er seine Medikamente genommen hat und man ihn nicht mit den Händen im Körper eines anderen Menschen auffindet, auf der Suche nach einem hübschen Filetstückchen. Vor mir staut sich der Verkehr, einige der Autofreaks von letzter Nacht hatten einen Unfall, und eine der Spuren wurde gesperrt. Einer nach dem anderen zuckeln wir über die Kreuzung, während wir in der Hitze vor uns hin schmoren.
Ich fahre durch die Stadt, und vorbei am Flughafen. Von der Straße aus kann ich die Rollbahnen sehen; eines der landenden Flugzeuge fliegt so dicht über mich hinweg, dass mein Wagen anfängt zu vibrieren. Am Straßenrand parken mehrere Dutzend Leute mit Zeitungen in der Hand, die immer wieder zu den landenden Flugzeugen aufschauen. Dann folgen erneut Felder. Ich sollte mir hier draußen einfach ein Haus kaufen, dann müsste ich nicht ständig pendeln.
Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ins Gefängnis zu rückzukehren. Ich muss an einem Wachhäuschen vorbei und meinen Ausweis zeigen, bevor ich auf den Parkplatz biegen kann, auf dem vereinzelt ein paar Besucherfahrzeuge stehen. Alles sieht genauso aus wie vor ein paar Tagen, als ich entlassen wurde. Der flirrende Asphalt. Der Staub, der vom Innenhof aufsteigt. Die Geräte und Gerüste und die Bauarbeiter, die neue Gefängnismauern hochziehen, um Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen, die hier tagtäglich mit dem Bus angekarrt werden. Allerdings müssen sie sich nicht allzu sehr ins Zeug legen, denn der Bus kommt mit anderen Gefangenen wieder heraus. Der Eingangsbereich täuscht darüber hinweg, wie es im Innern tatsächlich aussieht. Der Parkplatz ist von einem liebevoll angelegten Landschaftsgarten umgeben, der langsam in der Sonne verdorrt. Durch zwei automatische Glastüren tritt man in den modern eingerichteten Empfang mit Möbeln, die höchstens ein Jahr alt sind. Hinter dem Schalter sitzen vier Mitarbeiter, die allesamt so aussehen, als gehörten sie auf die andere Seite der Gitterstäbe, besonders die Frau, die mit mir spricht. Sie hat schwarzes Haar und einen zarten Flaum auf der Oberlippe. Sie mustert mich, als würde sie überlegen, wie viele Knochen sie mir brechen könnte. Wahrscheinlich eine Menge. Sie muss mindestens doppelt so schwer sein wie ich, das meiste Gewicht ist auf ihre Schultern und den Brustkorb verteilt.
»Ich würde
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