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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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auch bei netten Menschen nach Eigenschaften, die nicht so nett sind.
    »Hast du ein Desinfektionsmittel, Adrian?«, fragt sie.
    »Hä?«
    »Desinfektionsmittel.«
    »Ach so, ja, sicher.«
    »Gibst du es mir?«
    Er geht ums Bett und bindet das Seil los. Sie setzt sich vorsichtig auf, damit die Decke nicht von ihr herunterrutscht. Während er ihre Füße losbindet, reibt sie sich die Handgelenke. Sie sind gerötet, und die Haut ist aufgeschürft. Wie schrecklich, denkt Adrian, knapp eine Woche so gefesselt zu sein, und er ist sauer auf Cooper, dass er ihr so was angetan hat. Er hätte sie doch einfach in ein Zimmer sperren können. Als er ihre Füße losgebunden hat, beugt sie sich langsam vor und massiert sich die Knöchel.
    »Kann ich das Desinfektionsmittel haben?«, fragt sie.
    Er reicht es ihr. Sie schraubt den Deckel ab und fängt an, ihre Knöchel und Handgelenke mit der Creme einzureiben. Er schaut dabei zu, und er würde ihr gerne seine Hilfe anbieten, doch er tut es nicht. Ihm gefällt die Vorstellung, sie mit Creme einzureiben, allerdings kann er sich nicht vorstellen, dass ihr das ebenfalls gefallen würde.
    »Es tut echt weh«, sagt sie.
    »Tut mir leid. Nächstes Mal werde ich …« Er hält inne, als er seinen Fehler bemerkt. Er senkt den Blick, unfähig, ihr in die Augen zu blicken, und erwartet, dass sie darauf eingeht und etwas sagt wie »Nächstes Mal was? Du hast gesagt, dass du mich gehen lässt.« Er weiß nicht, wie er den Satz beenden soll. Glücklicherweise muss er das nicht, denn sie hilft ihm aus der Patsche.
    »Dann wollen wir uns die Sache mal ansehen, oder?«, sagt sie. Er ist froh, dass sie seine Bemerkung nicht mitbekommen hat. »Wie ist das passiert?«
    »Man hat auf mich geschossen.«
    »Du Ärmster«, sagt sie mit besänftigender Stimme, und schon tut sein Fuß nicht mehr ganz so weh. Und dann erscheint plötzlich ein Bild vor seinen Augen – er sieht sich mit dieser Frau auf der Veranda sitzen und den Sonnenaufgang anschauen, ohne Cooper. Seine Brust wird ganz warm, und ihm ist ein wenig schwindelig, er weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Ihre Handgelenke glänzen von der Creme. Und er kann seinen Blick nicht davon abwenden.
    »So schlimm sind die Schmerzen nun auch wieder nicht«, sagt er, aber das stimmt nicht. Er möchte bloß nicht, dass sie mitbekommt, wie sehr es wehtut. »Ich hatte schon mal schlimmere«, fügt er hinzu und bereut das sogleich.
    Sie zieht sich die Bettdecke unter die Achseln und drückt ihre Arme dagegen. »Ist das in der Plastiktüte alles?«
    »Ja.«
    »Zunächst müssen wir die Wunde säubern«, sagt sie. »Ist das okay? Soll ich das für dich tun?«
    »Okay.«
    »Übrigens, du hast hübsche Beine«, sagt sie.
    »Ach ja, wirklich?«
    »Aber das hat man dir bestimmt schon öfter gesagt, Adrian, oder?«
    »Äh … nein. Noch nie.«
    »Noch nie? Ich kann’s kaum glauben«, sagt sie, und als sie lächelt, muss er auch lächeln. »Hast du ein paar Wattebäuschchen?«
    »In der Tüte.«
    »Also los.«
    Er reicht ihr die Tüte, und sie wühlt darin herum und legt die Sachen neben sich aufs Bett. Außer dem Desinfektionsmittel sind da noch weitere Salben, Verbandszeug, mehrere Kompressen, Tape, eine Sicherheitsnadel, Tabletten, verschiedene Cremes sowie eine Schere. Die behält er im Auge. Er würde sie ihr gerne wegnehmen, aber er möchte auch nicht gemein zu ihr sein. Er muss sie ihr wegnehmen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass er ihr nicht traut. Allmählich denkt er, es wäre reine Verschwendung, Cooper das Mädchen zu überreichen.
    »Klebt die Kompresse an der Wunde fest?«, fragt sie und beugt sich vor, um sie genauer zu betrachten. Das Haar fällt ihr auf den Rücken, und durch die Decke, die sich wie ein Vorhang geöffnet hat, kann er ihre Wirbelsäule erkennen. Es sieht aus, als würde eine Reihe Knöchel unter der Haut an ihrem Rücken verlaufen, unter ihrer zarten, blassen Haut. Ihr Hals ist straff und mit Schweißperlen bedeckt. Er würde sie gerne fortwischen.
    »Ja«, hört er sich selbst sagen.
    »Wir müssen das entfernen.«
    »Das Bein?«, fragt er, und sofort sieht er vor seinem geistigen Auge wieder, wie er in seinem Zimmer seine Runden dreht und auf eine ungerade Schrittzahl kommt, und er spürt, wie das Blut aus seinem Gesicht weicht. Am liebsten würde er sich übergeben.
    »Nein, die Kompresse«, sagt sie. »Es wäre schrecklich, wenn wir das Bein entfernen müssten«, sagt sie, allerdings so, dass er sich wegen seines Irrtums nicht wie

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