Die Totensammler
brauche.«
Wenn er meine Hilfe braucht, muss etwas Schlimmes passiert sein. So schlimm, dass er jenen Mann aufsucht, den er mehr als jeden anderen hasst. Ich trete zur Seite, und er kommt herein. Ich führe ihn durchs Haus. Er verkneift sich jeden Kommentar zu den Möbeln und zur Einrichtung. Die Stereoanlage ist auf Repeat gestellt, und das Beatles-Album fängt gerade wieder von vorne an. Ich bringe ihn raus auf die Terrasse, zu den Gartenmöbeln, die in den letzten Monaten etwas Rost und jede Menge Spinnweben angesetzt haben. Ich biete ihm nichts zu trinken an, auch wenn die Sonne auf uns herabknallt. Ich schätze, er will nicht lange bleiben, und er würde wohl sofort wieder verschwinden, wenn ich ihm die DVD zeige, die ich mir vorhin angeschaut habe. Wir setzen uns einander gegenüber an den Tisch und rücken unsere Stühle zurecht, bis alles miteinander harmoniert.
»Ich möchte Sie engagieren«, sagt er.
Ihm läuft der Schweiß herunter, und er muss blinzeln, als er mich ansieht, die Sonne scheint ihm direkt ins Gesicht. Er trägt T-Shirt und Shorts, keinen Anzug, also ist er nicht in seiner Funktion als Anwalt hier. Das bedeutet, dass ich keine weitere Hypothek aufnehmen muss, um mit ihm zu reden. Anscheinend hat er in den letzten Tagen in dem Shirt geschlafen.
»Ich brauche den Auftrag nicht.«
»Doch, das tun Sie.«
»Es ist müßig, darüber zu diskutieren. Ich habe meine Zulassung als Privatdetektiv verloren, ich kann Ihnen also nicht helfen.«
»Kein Problem, denn ich werde Sie nicht bezahlen. Sie machen das für lau, es ist also kein richtiger Auftrag. Sprich: Sie brauchen dafür keine Zulassung. Außerdem tun Sie es sowieso umsonst. Weil Sie es mir schuldig sind.«
»Danke, dass Sie mir das Geschäft versüßen wollen. Würden Sie mir vielleicht erzählen, was so Schlimmes passiert ist, dass Sie hier bei mir aufkreuzen? Ich bin gerade erst aus dem Knast entlassen worden.«
»Ich weiß. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man Sie sehr viel länger weggesperrt. Meine Tochter hätte dabei draufgehen können.«
Ich antworte nicht. Ich habe mich bereits entschuldigt, und ich könnte mich noch tausendmal entschuldigen, er würde es nicht annehmen. Ich weiß das, weil ich mal in derselben Situation war. Ich selbst habe den Mann, der meine Tochter getötet und meine Frau bei einem Unfall verletzt hat, in den Wald geschleppt und ihm eine Schaufel in die Hand gedrückt. Währenddessen hat er unablässig geredet. Er hat sich dafür entschuldigt, dass er so viel trinkt, und für seine anderen Verkehrsvergehen. Dafür, dass er meine Frau und meine Tochter bei einem Unfall überfahren und nichts unternommen hat. Weinend hob er das Loch aus, sein Gesicht und sein Hemd waren voller Erde. Er war völlig verdreckt . Sein Gesicht war mit Rotze und Tränen verschmiert, und er jammerte und jammerte. Doch irgendwann konnte ich es nicht mehr hören. Für mich war es kein Unfall. Sondern Mord. Ein Mann, der sich trotz seiner vielen Verurteilungen und Verwarnungen betrunken hinters Steuer setzte, bei dem war es nur eine Frage der Zeit, bis er jemanden tötete. Als würde jemand wahllos mit einer geladenen Waffe in eine Menschenmenge schießen.
Ich habe ihm eine Kugel in den Kopf gejagt und ihn in das Grab gelegt, das er ausgehoben hat.
Mein Anwalt weiß davon. Ich habe es ihm erzählt. Als er seine Pistole auf mich richtete und sich darauf vorbereitete, mit mir dasselbe zu tun, habe ich ihm erzählt, wie sich das anfühlt.
»Sie ist verschwunden«, sagt er. »Emma.«
»Was?«
»Seit zwei Tagen hat keiner mehr was von ihr gehört. Am Montagabend nach der Arbeit hat sie sich auf den Heimweg gemacht, doch dort ist sie nie angekommen.«
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
»Was?«, fragt er und zuckt leicht zurück, als hätte er noch nie so eine blöde Frage gehört. »Natürlich haben wir das. Aber die Polizei, also, sie gehen der Sache erst nach, wenn jemand über vierundzwanzig Stunden vermisst wird, darum befassen sie sich erst seit gestern Abend damit. Bis jetzt haben sie kaum was unternommen, noch keine Fahndung eingeleitet. Und selbst wenn, Sie haben ganz andere Möglichkeiten als die Polizei.«
»Sie sollten Vertrauen in die Polizei haben. Die Beamten wissen schon, was sie tun.«
Er fängt an, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, dann hält er inne und starrt auf seine Fingernägel, als wäre er enttäuscht von dem Geräusch, das sie erzeugen. Erneut blickt er mich an, und in seinen Augen
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