Die Totensammler
ebenfalls irgendwo betrunken herumliegt, doch da fällt ihm ein, dass er gar keine Frau mehr hat, dass sie sich vor drei Jahren getrennt haben. Auch wenn er nicht mehr genau weiß, warum, zumindest nicht auf Anhieb. Seit seiner Frau hat es keine Beziehung mehr gegeben, jedenfalls nichts Ernstes, und im Moment nicht mal das, also hat er wahrscheinlich alleine getrunken. Allerdings hat er aufgehört zu trinken, zumindest dachte er das. In der Vergangenheit hat ihn das immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Er wälzt sich auf die Seite, und das Bett quietscht und ächzt unter ihm. Es ist nicht sein Bett, denn keines der Geräusche kommt ihm bekannt vor. Dann denkt er: Krankenhaus . Er hatte einen Unfall, und was auch immer passiert ist, ist nicht deshalb passiert, weil er zu viel Scotch getrunken hat. Er spitzt die Ohren, doch er kann weder Patientengespräche noch das Schlurfen von Füßen hören, und auch keine piepsende Gegensprechanlage, aus der eine Stimme ruft, Code Red auf Zimmer eins-null-irgendwas. Zum letzten Mal hat er vor zwei Jahren ein Krankenhaus betreten, als sein Onkel krank war und ihn der Krebs bei lebendigem Leib von innen heraus auffraß. Ihm fällt der alte Mann im Zimmer seines Onkels ein, der in einen Plastikbehälter unter einem Stuhl neben dem Bett scheißen musste, sodass sich der Gestank im ganzen Zimmer ausbreitete und Cooper schnell das Weite suchte. Nichts davon gibt es hier, weder die Geräusche noch die Gerüche. Das hier ist kein Krankenhaus.
Mit den Fingerspitzen massiert er sich die geschlossenen Augen; dabei fährt er über eine Beule an der Stirn, die wie ein Golfball hervorsteht, und zuckt zusammen. Als er es endlich schafft, die Lider zu öffnen, ist alles grau und verschwommen. Er blinzelt heftig, bis er ein wenig mehr erkennen kann. Wo auch immer er sich befindet, es gibt hier kaum Licht. Die Schürfwunden in seinem Gesicht tun weh, wenn er sie berührt. Er kann sich erinnern, wie er zu seinem Wagen gegangen ist, nachdem er das Garagentor geschlossen hat. Er hatte eine Aktentasche in der Hand, allerdings weiß er nicht mehr, warum, dafür gab es keinen Grund. Und dann war da … war da … was?
»Oh mein Gott«, sagt er und versucht aufzustehen, doch sein Körper gehorcht ihm nicht. Er schafft es lediglich, sich auf die Ellbogen zu stützen, bevor er erneut zusammenbricht; sein Arm rutscht von der Bettkante, sodass er mit den Knöcheln auf den Betonboden knallt und sich die Haut aufschürft. Er steckt sie in den Mund, das Blut schmeckt süß. Er muss sich wieder aufrappeln. Muss fort von hier, wo auch immer er ist. Der Mann. Der Mann hat ihn nach der Uhrzeit gefragt und dann … und dann hat er die Kontrolle über seinen Körper verloren. Er lag auf dem Boden, und die Sonne schien ihm in die Augen, bis der Mann sich davorstellte. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Konnte nicht mehr sprechen. Auf dem Boden neben seinem Gesicht lag Konfetti, und er wusste nicht, warum. Der Mann ging in die Hocke und hielt ihm einen Lappen vors Gesicht, und er konnte nichts dagegen tun. Und dann … dann das hier.
Er drückt seine Hände gegen das Bett. Und stemmt sich hoch, diesmal langsamer, versucht, die Kontrolle zu behalten, versucht verzweifelt sich aufzurichten, dann hält er inne, um sich auf die Bettkante zu setzen. Um ihn herum dreht sich alles. Langsam kehrt seine Sehkraft zurück. Das Zimmer wird scharf, doch immer noch ist nicht viel zu erkennen. Es handelt sich um eine Art Luftschutzbunker. Das einzige Licht dringt durch ein kleines Glasfenster in einer Tür. Überall Beton und Stahl. Begleitet von schwachen Zuckungen und stromstoßartigen Stichen kehrt das Gefühl in den Rest seines Körpers zurück. Erst kribbelt es in den Füßen und Händen, dann breitet es sich über die Gliedmaßen zur Mitte hin aus. Er steht auf. Der Schmerz pocht hinter seinen Augen. Er ist müde und hat Angst, und er weiß nicht, wie lange er bewusstlos war.
Dann wird ihm klar, dass ein Elektroschocker auf ihn abgefeuert wurde. Darum also das Konfetti. Jedes Mal, wenn ein Elektroschocker abgefeuert wird, spuckt er zwanzig bis dreißig Papierschnipsel mit der Seriennummer aus. So lässt sich der Besitzer identifizieren. Dann wurde er betäubt. Er kann sich an den Lappen auf seinem Gesicht erinnern, an den Geruch, an die Dunkelheit.
Seitlich an die Wand gestützt, arbeitet er sich zur Tür vor. Es ist eine kurze Strecke. Der Raum ist doppelt so groß wie eine Gefängniszelle, mit einem Blick auf etwas,
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