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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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letztes Jahr verletzt hast? Du hast deine Schuld beglichen, Tate, du schuldest weder ihr noch ihrem Vater was.«
    »Denkst du das wirklich?«
    »Ja«, sagt er.
    »Ich glaube dir nicht. Du würdest an meiner Stelle dasselbe tun.«
    »Hör zu, Tate, ich kann deine Gefühle verstehen, wirklich, aber das ist keine gute Idee.«
    »Es kann nicht schaden, es wenigstens zu versuchen.«
    »Wie kannst du nur so was sagen?«
    »Diesmal wird es anders laufen.«
    »Ach ja? Und was bedeutet das? Wenn du den Typen findest, lässt du ihn am Leben?«
    »Es war ein Unfall«, sage ich. Er meint den Friedhofs-Mörder, den ich letztes Jahr zur Strecke gebracht habe. Als ich ihn geschnappt habe, kam es zum Kampf. Er hat die Leichen in den Särgen durch seine Opfer ersetzt. Und die ursprünglichen Inhaber in einem kleinen See in der Nähe versenkt. Bei der Auseinandersetzung sind wir in ein leeres Grab gestürzt, und das Messer, mit dem wir gekämpft haben, ist in seinem Körper gelandet. Der richtige Ausdruck dafür wäre wohl vorsätzlicher Unfall . »Komm schon, du weißt, dass ich es trotzdem tun werde. Gib mir eine Kopie der Akte. Sieh’s doch mal so – je mehr ich von Anfang an weiß, desto weniger Leuten werde ich auf den Schlips treten. Das ist für alle von Vorteil, dich eingeschlossen.«
    »Eine seltsame Logik, Tate«, sagt er.
    »Aber sie funktioniert.«
    »Hör zu, ich muss los.«
    »Und die Akte?«
    »Ich denk drüber nach«, sagt er und legt auf.
    Als Erstes möchte ich mit Emma Greens Freund reden. Sie wohnt nicht mit ihm zusammen, aber laut ihrem Vater war das nur eine Frage der Zeit. Donovan Green ist von ihrem Freund nicht gerade begeistert, so wenig wie ich vom ersten Freund meiner Tochter begeistert gewesen wäre, wenn sie das entsprechende Alter erreicht hätte. Der Freund heißt Rodney, ist so alt wie Emma und lebt noch bei seinen Eltern. Donovan hat mir seine Adresse gegeben, und ich fahre zu seinem Haus. Er hat sich wegen Emmas Verschwinden heute freigenommen. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein einstöckiges Nurdachhaus aus den Siebzigern, und das Dach ist so steil, dass man beim Herunterrutschen die Schallmauer durchbrechen würde. Das braune Gras im Vorgarten ist von jeder Menge kahler Stellen durchzogen, und in seiner Mitte ragt eine große Pinie empor; ihre dicken Wurzeln haben sich durch das Erdreich gebohrt und saugen die Flüssigkeit aus allen Pflanzen in der Um gebung. Als ich läute, ertönt drinnen ein lautes Klingeln, und hinter der Holztür ist ein Schlurfen zu hören, bis eine Frau mit fast weißem Haar sie öffnet. Sie trägt Shorts und eine cremefarbene Bluse und wirkt ungefähr genauso matt wie die große Pinie vor dem Haus. Sie rückt ihre Brille zurecht und lächelt mich an. Ich begrüße sie, und als sie antwortet, begreife ich, dass sie taub ist. Nicht mehr lange, und das Wort taub gilt als Beleidigung, und man muss das Wort hörgeschädigt benutzen. Sie redet so wie jemand, der sich selbst nicht hören kann. Ich spreche langsam und erkläre ihr, dass ich Rodney gerne ein paar Fragen stellen würde, worauf sie mit dem Finger auf ihre Uhr tippt und mir zu verstehen gibt, dass ich entweder eine Minute oder eine Stunde warten soll, dann verschwindet sie. Dreißig Sekunden später kommt Rodney zur Tür. Er ist dünn, hat hellbraune Augen und schwarzes Haar, und seine Wangen sind von der Hitze gerötet. Er trägt eine Jeans und ein lachsfarbenes T-Shirt, er macht einen gesunden und aufgeräumten Eindruck, offensichtlich nimmt er keine Drogen, er hat nicht mal dunklen Kajal aufgetragen. Ich habe also keinen Grund, ihn sofort zu hassen. Abgesehen von seinem T-Shirt, dessen Anblick mir körperliche Schmerzen bereitet.
    »Ich bin Rodney«, sagt er. »Sie sind wegen Emma hier?«
    »Genau.«
    »Was sind Sie? Ein Reporter? Von denen hab ich die Schnauze voll. Ich schwör Ihnen, wenn Sie ein Reporter sind, polier ich Ihnen die Fresse.«
    Plötzlich ist er mir noch sympathischer. »Emmas Dad hat mich engagiert. Ich bin Privatdetektiv.«
    »Er hat Sie engagiert, um mich zu befragen? Warum? Glaubt er, dass ich was mit ihrem Verschwinden zu tun habe?«, fragt er und hebt die Stimme. Mit der rechten Hand umklammert er den Türrahmen, als müsste er sich beherrschen, um nicht auf mich loszugehen.
    »Sie sind sich also sicher, dass sie verschwunden und nicht einfach nur für ein paar Tage abgehauen ist?«
    »So was würde Emma nicht tun«, sagt er. Dann mustert er mich genauer. »Sagen Sie mal, ich kenne Sie

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