Die Totensammler
doch von irgendwoher.«
»Das liegt an meinem Allerweltsgesicht«, antworte ich. »Ihr Vater glaubt nicht, dass du ihr was angetan hast. Ich bin hier, weil ich helfen will, sie zu finden.«
Seine Hand am Türrahmen entspannt sich. »Ist sie tot?«, fragt er, und seine Frage klingt so aufrichtig, als hätte er wirklich nicht die geringste Ahnung, doch ich bin schon einmal von einem scheinbar trauernden Freund getäuscht worden.
»Kann ich reinkommen?«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie vermuten es.«
»Ich hoffe nicht«, sage ich und wiederhole damit Schroders Antwort von vorhin.
»Wie heißen Sie?«, fragt er.
»Theo.«
»Theodore Tate?«
»Ja«, sage ich und senke für eine Sekunde den Blick.
»Der Mann, der …«
»Darum bin ich hier«, sage ich. »Darum hat ihr Dad mich aufgesucht. Er weiß, dass ich tue, was nötig ist, um sie zu finden. Damit bleiben dir zwei Möglichkeiten. Entweder bist du sauer auf mich, was dein gutes Recht wäre, und machst die Tür zu, oder du beantwortest meine Fragen und hilfst mir, Emma zu finden, bevor es zu spät ist. Also, wie sieht’s aus?«
Er lässt mich hinein und führt mich in ein Wohnzimmer, bei dessen Einrichtung man sich offenbar nicht einig werden konnte. Ich setze mich in einen Sessel, der mich fast verschluckt. Rodneys Mutter trägt ein Tablett mit einer Teekanne und drei Tassen herein. Sie hockt sich neben ihren Sohn auf die Couch und schenkt mir ein, dann zeigt sie fragend auf die Milch. Ich mag keinen Tee und nicke, ich schätze, mit der Milch lässt sich das Problem verdünnen. An der Wand über der Tür befindet sich eine Lampe, die offenbar immer dann aufleuchtet, wenn es klingelt. Die Mutter gibt Rodney ein Zeichen, das er mit einem anderen erwidert, und ich komme mir wie ein Außenseiter vor.
»Mum hat Sie ebenfalls erkannt«, sagt er.
Er sagt das keinesfalls in einem vorwurfsvollen Tonfall, und seine Mutter macht auch keine aggressive Geste. Ich verzichte auf eine Entschuldigung, denn deswegen bin ich nicht hier. Seine Mutter nickt, sie kann uns zwar nicht hören, aber sie weiß, was wir sagen. Ich sehe sie an. »Ich bin hier, weil ich Emma finden will«, sage ich, und sie nickt und lächelt.
Ich wende mich wieder Rodney zu. »Wie lange bist du schon mit Emma zusammen?«
»Etwa vier Monate.«
»Wie seid ihr zusammengekommen?«
»In der Schule. Wir kannten uns schon ewig. Letztes Jahr war sie dann für einen Monat nicht in der Schule, weil – na ja, Sie wissen schon, warum, und als sie wieder da war, sind wir irgendwie ins Gespräch gekommen. Ich hatte als Kind einen Unfall, bei dem meine Mum schwer verletzt und mein Dad getötet wurde. Wir haben uns über ihren und meinen Unfall unterhalten und dabei festgestellt, dass wir beide dieses Jahr auf die Uni wollen, um Psychologie zu studieren. Und jetzt haben wir beide dieselben Kurse belegt. Ist schon komisch. Ich meine, ich bin ihr in der Schule ständig über den Weg gelaufen und hätte nie, na ja, hätte nie gedacht, dass sie mein Typ ist.«
»Ihr Typ?«
»Ja. Jedes Mädchen, das mit mir redet, ist mein Typ. Womit die Auswahl mehr oder weniger auf Emma beschränkt war.«
»Hast du noch andere Fächer mit ihr gemeinsam belegt?«
»Nur Psychologie.«
»Gibt es an der Uni irgendjemand, der ihr das Leben schwer macht? Ihr Angst einjagt?«
»Sie hat jedenfalls nichts davon erzählt, und das hätte sie. Wir haben gerade erst angefangen – ich meine, wir sind erst in der zweiten Woche des Semesters. Außerdem wurden mehrere Vorlesungen gestrichen, weil einige Studenten bei der Hitze ohnmächtig geworden sind.«
»Bist du sicher, dass es niemanden gibt, der ihr Angst eingejagt hat?«, frage ich.
»Ziemlich sicher.«
»Hast du sie am Tag ihres Verschwindens gesehen?«
Er schüttelt den Kopf. Seine Mutter hat ihm eine Tasse Tee eingeschenkt und sie vor ihm auf den Couchtisch gestellt. Er starrt auf sie hinunter, ohne sie anzurühren, als hätte er Angst, daraus zu trinken, weil man am Bodensatz Emmas Schicksal ablesen kann und dort schlechte Neuigkeiten auf ihn warten. »Samstagabend habe ich in ihrer Wohnung ein paar Stunden mit ihr zusammen abgehangen.«
»Abgehangen?«
»Ja«, sagt er und greift schließlich nach der Tasse Tee. Er hält sie sich vor den Mund, doch anstatt daraus zu trinken, bedeckt er damit die Lippen, sodass seine Mutter nicht erkennen kann, was er sagt. »Abgehangen. In ihrem Schlafzimmer.« Er nippt an der Tasse und
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